Prof. Dr. Uwe Schneidewind

Präsident der Universität von 2004-2008

Prof. Dr. Uwe Schneidewind, 1966 in Köln geboren, studierte nach dem Abitur und dem Wehrdienst in Köln Betriebswirtschaft und legte nach acht Semestern das Examen zum Diplom-Kaufmann ab. Als Junior-Consultant war er zunächst in der Umweltmanagementberatung bei Roland Berger & Partner tätig, um dann 1992 an die Universität St. Gallen zu wechseln, wo er als Projektleiter am Institut für Wirtschaft und Ökologie forschte. Nach seiner Promotion und Habilitation bewarb er sich erfolgreich auf die Professur für „Betriebswirtschaftslehre – mit den Schwerpunkten Produktionswirtschaft und Umwelt“ an der Universität Oldenburg, wo er sich dem Thema „nachhaltiges Wirtschaften“ widmete. 2003 übernahm er das Amt des Dekans seiner Fakultät, ein Jahr später wurde er zum Präsidenten der Universität gewählt. Dem überraschenden Rücktritt von diesem Amt 2008 folgte zwei Jahre später die Berufung zum Präsidenten des Wuppertal-Instituts für Klima, Umwelt, Energie. 2020 wurde Schneidewind zum Oberbürgermeister der Stadt Wuppertal gewählt.

Persönlicher Rückblick auf die Amtszeit

(aus „Mehr Lust als Last?”[1])

Eine besondere Dialektik

Über Universitäten als eine besondere Art von Organisation ist viel geschrieben worden. Es handelt sich um lose gekoppelte Systeme zahlreicher Organisationsinseln mit kleinerer und größerer Macht. Die grundgesetzlich gesicherte Freiheit von Forschung und Lehre, die Absicherung von Hochschullehrern über das Lebenszeitbeamtentum, aber auch die Tatsache, dass die internationale Fach-Community häufig das sehr viel wichtigere Referenzsystem als die eigene Universität darstellt, unterscheiden Universitäten erheblich von anderen Organisationen und insbesondere von Unternehmen.

Folge sind erhebliche Freiheitsgrade: In Universitäten kann sich der Einzelne, können sich einzelne Gruppen vieles erlauben und das Schöne: Universitäten funktionieren trotzdem – oder gerade deswegen, denn für die Einzelnen stellen die Freiheitsgrade das Lebenselixier von Universität dar. Nur durch diese Freiheit kann der kreative Gedanke, kann herausragende Forschung und Lehre entfernt von funktionalistischen Sachzwängen entstehen. Für Hochschulkritiker ist das Maß an Freiheit einer der zentralen Gründe für Ineffizienzen und Verantwortungsvergessenheit, die sich im Hochschulsektor immer wieder einstellen. Die intensive Diskussion über die Bologna-Reform, die die Freiheitsgrade in der Lehre erheblich beschnitten hat, aber auch über die zunehmende indikator- und drittmittelorientierte Steuerung von Universitäten, geben einen Eindruck davon, wie sensibel das Thema „Freiheit“ in Hochschulen diskutiert wird.

Das Für und Wider von mehr oder weniger Freiheit ist nicht Gegenstand dieses Beitrags. Im Zentrum steht aber ein Phänomen, das eng mit den Freiräumen zusammenhängt: die Fähigkeit, umfassende extern wahrzunehmende Leistungen zu produzieren, die in einem intuitiv nur schwierig nachvollziehbaren Verhältnis zu internen Prozessen in eben dieser Universität stehen. Diese Möglichkeiten sind organisationstheoretisch gut untersucht. Dennoch ist es immer wieder beeindruckend, sie plastisch in der Praxis zu erleben.

In den Jahren 2004 bis 2008 wurde die Universität ungewollt zu einer eindrucksvollen Fallstudie für eine solche Diskrepanz. Als Schnittstelle für diesen Prozess wirkt zwangsläufig ihr Präsident. Denn er spielt eine zentrale Rolle in beiden Arenen – sowohl in der Außensichtbarkeit der Organisation und der Koordination der nach außen wahrnehmbaren Erfolgen als auch als Schlüsselakteur in den internen mikropolitschen Arenen – als „Primus inter pares“.

Jedem, der das Präsidentenamt einer Universität antritt, ist in der Regel bewusst, dass es sich in beiden Arenen zu bewähren gilt: eine nach außen sichtbare erfolgreiche Universität zu ermöglichen und gleichzeitig die internen Dynamiken zu beherrschen. Die Oldenburger Präsidentschaft 2004 bis 2008 macht deutlich, dass das Erstere hervorragend gelingen kann, und die internen Prozesse dabei in eine völlig andere Richtung verlaufen können. Fast häufiger ist das umgekehrte Muster zu finden: Die Beherrschung der internen Dynamiken gelingt mehr oder weniger souverän, nach außen bleibt die Institution jedoch blass.

Im Folgenden schildert der Autor seine Amtszeit 2004 bis 2008 aus zwei Perspektiven: einer Außen- und einer Innensicht – eine Geschichte der Oberflächenstruktur und eine Geschichte der mikropolitischen Tiefenstruktur.

Die Außensicht – eine Erfolgsgeschichte

Im Februar 2004 wird der Autor als 37-Jähriger mit Zweidrittelmehrheit im ersten Wahlgang durch den Senat der Oldenburger Universität zu ihrem Präsidenten gewählt. Dieselbe junge Universität, die sich in einem umfassenden Generationenumbruch befindet, beweist mit dieser Wahl zum vierten Mal nach 1974, 1980 und 1986 den Mut zu einem jungen Präsidenten. Sie entscheidet sich das erste Mal für einen Kandidaten mit managementwissenschaftlichem Hintergrund.

Der neue Hochschulleiter kann an eine hervorragende Aufbauleistung der Vorjahre anknüpfen: Es ist zu klaren wissenschaftlichen Schwerpunktbildungen insbesondere in den Naturwissenschaften und der Informatik gekommen. Die vom Vorgänger initiierte Fakultätsreform (Reduktion von elf Fachbereichen auf fünf Fakultäten) hat die Handlungs- und Managementfähigkeit erheblich erhöht. Der neue Präsident konnte dies als Gründungsdekan der neuen Fakultät für Informatik, Wirtschafts- und Rechtswissenschaften selbst erfahren. Die Komplettumstellung der Oldenburger Studiengänge auf die Bachelor-/Master-Strukturen zum Wintersemester 2004/05 wurde vom Vorgängerpräsidium
mutig vorbereitet und entschieden. Die ursprüngliche Distanz zwischen dem bürgerlichen Oldenburger Umfeld und der als links wahrgenommenen Reformuniversität ist überwunden: Es gibt vielfältige Kooperationen, mehrere aus der Region finanzierte Stiftungsprofessuren, einen formalen Kooperationsvertrag zwischen Universität und Stadt. Die Universitätsgesellschaft Oldenburg (UGO) ist eine der mitgliederstärksten in Deutschland. Mit der von Gerhard Harms und Corinna Dahm-Brey initiierten und inszenierten KinderUniversität hat die Universität ein weiteres Format mit höchster Akzeptanz im regionalen Umfeld geschaffen. Über bundesweit angesehene Weiterbildungsstudiengänge gelingt eine enge Verknüpfung mit dem regionalen Umfeld.

Zudem könnten auch die sonstigen Rahmenbedingungen für die Universität kaum besser sein: Mit dem niedersächsischen Regierungswechsel im Jahr 2003 wurde der Oldenburger Lutz Stratmann neuer niedersächsischer Wissenschaftsminister. Ein enges „Doppelpassspiel“ zwischen dem Ministerium und der Universität für die Umsetzung hochschulpolitischer Initiativen am Standort Oldenburg ist mithin gewährleistet. Nach einem mit schmerzlichen Einsparungen verbundenen „Hochschuloptimierungskonzept“ im Jahr 2003 erweist sich die Landesregierung als äußerst verlässlicher Partner der Hochschulen. Über einen Zukunftsvertrag wird in den Folgejahren die Finanzierungsstabilität der niedersächsischen Hochschulen abgesichert. Über die im Jahr 2005 eingeführten Studiengebühren entsteht weiterer finanzieller Spielraum.

Im Jahr 2006 wird zudem mit Gerd Schwandner ein sehr wissenschaftsaffiner Oberbürgermeister an die Spitze der Stadt Oldenburg gewählt und damit der Grundstein für eine erfolgreiche „Stadt der Wissenschaft“-Bewerbung gelegt.

Der neue Präsident startet daher nach offiziellem Beginn am 1. Oktober 2004 auch äußerst kraftvoll – nicht nur über eine Aufbruch vermittelnde Feier zum Amtsantritt, in deren Rahmen er in seiner Rede die Vision einer Universität Oldenburg entwickelt, die nicht ausschließlich den an sie herangetragenen Ansprüchen gerecht wird („Exzellenz“), sondern sich dabei auch ihrer Reformwurzeln besinnt („Authentizität“) und einen hochschulinternen Leitprozess ankündigt, der tatsächlich auch im Sommer 2005 zu einer Verabschiedung eines „Leitbild 2010“ durch den Senat führt. Das Leitbild formuliert nicht nur die übergeordnete Vision der Universität, sondern legt auch ganz konkrete Kernziele in den Bereichen Forschung und Lehre fest. Faktisch sind alle der im Leitbild formulierten engagierten Ziele Mitte des Jahres 2010 erreicht.

Die Gestaltungskraft der Hochschulleitung wird dadurch gestärkt, dass es dem neuen Präsidenten gelingt, mit Karen Ellwanger (Materielle Kultur) für die Lehre (2006 gefolgt von Sabine Doering, Literaturwissenschaft) und Reto Weiler (Neurobiologie) für die Forschung, fachlich starke Persönlichkeiten als neue nebenamtliche Vizepräsidentinnen zu gewinnen. Die Besetzung der Positionen wird verbunden mit einer erheblichen Stärkung ihrer Rollen: Die Vizepräsidenten erhalten eigene Stabsstellen zugeordnet, ihre Ressortzuständigkeit und -autonomie wird erheblich erhöht. Die ersten Erfolge dieser erweiterten Managementkapazität des Präsidiums zeigen sich schnell:

Erfolge in der Lehre

Die noch vom Vorgängerpräsidium initiierte Komplettumstellung der Studiengänge auf Bachelor-/Master-Strukturen wird erfolgreich abgeschlossen. Alle Studiengänge werden letztlich reibungslos akkreditiert. Die Universität Oldenburg nimmt damit bundesweit eine Vorreiterrolle wahr. Gleichzeitig nutzt die Universität die Möglichkeiten der neuen Bachelor-/Master-Strukturen zunehmend für innovative internationale Studiengangsprojekte – sowohl im grundständigen Bereich als auch bei weiterbildenden Studiengängen.

Erfolge in der Forschung

Über Strukturpläne koordiniert der Vizepräsident für Forschung eine forschungsorientierte Weiterentwicklung der Fakultäten. Über fünfzig Neuberufungen in den Fakultäten werden erfolgreich durchgeführt. Ein erheblich ansteigender Anteil von DFG-Drittmitteleinwerbungen, die Gewinnung eines weiteren Sonderforschungsbereichs, eines Graduiertenkollegs und einer Forschergruppe sowie das erfreuliche Abschneiden in der ersten Runde der Exzellenzinitiative (das Hörforschungs-Exzellenzcluster „Hearing and its Sisorders“ erreicht 2006 die zweite Runde, scheitert dann aber leider knapp) sind äußere Kennzeichen des Erfolgs.

2006 wirbt die Universität rund 40 Mio. € zum Aufbau eines EWE-Forschungszentrums für Energieforschung ein. Diese Einwerbung erregt bundesweit Aufsehen und versetzt Oldenburg in die Lage, seine langjährigen Kompetenzen im Bereich regenerativer Energieforschung zu einem international sichtbaren Schwerpunkt weiterzuentwickeln. Das Engagement der EWE, dem in Oldenburg ansässigen fünftgrößten deutschen Energieversorger, ist zudem Ausdruck der hervorragenden Kooperation der Universität mit ihrem regionalen Umfeld.

Die Windenergieforschung wird konsequent ausgebaut und personell gestärkt. Neben dem schon bestehenden Forschungszentrum ForWind etablieren sich eine Fraunhofer-Arbeitsgruppe und eine weitere prominent besetzte Stiftungsprofessur.

Mit ihrem ökologischen Profil schneiden die Oldenburger Wirtschaftswissenschaften in zahlreichen Rankings hervorragend ab.

Neben der Informatik und den Naturwissenschaften erfährt auch die Profilbildung in den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften zunehmende Dynamik: Im Jahr 2005 erfolgt der durch Generationenwechsel notwendige Neuaufbau der Oldenburger Sozialwissenschaften. Er wird vom Präsidenten in enger Kopplung mit einer externen Besetzungskommission und der Wissenschaftlichen Kommission Niedersachsen vorangetrieben. Die koordinierten Ausschreibungen und die erfolgreichen Berufungen führen in den fachlichen Communities zu großem Aufsehen. Schon bald gelingt es, die neuberufenen Forscher in den an der Bremer Universität angesiedelten DFG-Sonderforschungsbereich zu integrieren und damit 2010 eine gemeinsame Cluster-Beantragung in der Exzellenzinitiative zu ermöglichen.

Das 2008 unter Federführung des Philosophen Reinhard Schulz durchgeführte Jaspers-Jahr anlässlich des 125-jährigen Geburtstags des in Oldenburg geborenen Philosophen wird zu einem national und international wahrgenommenen Erfolg. Unter anderem mit der Jaspers-Vorlesung durch den letzten persönlichen Jaspers-Assistenten Hans Saner zu Aspekten der „Kunst“ im Werk Jaspers setzen die Oldenburger Veranstaltungen inhaltlich – mit der vom weltweit renommierten Aktionskünstler Olafur Eliasson zum Jaspers-Jahr in Oldenburg realisierten Installation „Rainbow Democracy“ auch künstlerisch – Zeichen. Die in diesem Rahmen von Hans Saner getroffene Entscheidung, die Original-Bibliothek Karl Jaspers an die Universität Oldenburg zu überführen, rundet das Jahr ab und wie schon mit den vielen von der Oldenburger Hannah Arendt-Forschungsstelle durchgeführten
Veranstaltungen zum 100. Geburtstag von Hannah Arendt pflegt die Universität erfolgreich ihre authentischen sozialwissenschaftlichen Wurzeln.

Interdisziplinäre Forschung

In der Umwelt- und Nachhaltigkeitsforschung gelingt es der Universität, ihre starken umweltbezogenen Wurzeln in den Feldern der regenerativen Energieforschung, der Küsten- und Meeresforschung sowie in den umweltorientierten Wirtschaftswissenschaften in dem interdisziplinären Zentrum COAST zusammenzuführen. Durch die Übernahme der Umweltwissenschaften von der Hochschule Vechta erfolgt eine weitere Stärkung des Bereichs. Das nachhaltigkeitsorientierte Profil der Universität wird national und international immer stärker wahrgenommen.

Wegweisende regionale Vernetzungsstrategie

Ein Schlüsselelement in der Strategie der Periode 2004 bis 2008 ist die Stärkung der wissenschaftlichen Nord-West-Kooperation. Zwar gab es schon länger einen formalen Kooperationsvertrag zwischen den Universitäten Bremen und Oldenburg sowie die durch eine Kooperationsstelle koordinierte Möglichkeit eines Kooperationsstudiums in ausgewählten Fächern an beiden Universitäten, die strategischen Potenziale der Kooperation sind aber bisher kaum entwickelt.

Durch das gute persönliche Verhältnis des Oldenburger Präsidenten zu dem Bremer Rektor Wilfried Müller sowie die starke Unterstützung der beiden Landesregierungen entsteht in den Jahren ab 2004 eine hohe Dynamik in der strategischen Kooperation der beiden Universitäten, unter Einbeziehung der weiteren Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen der Region sowie der Universität Groningen in den Niederlanden. Konkreten Niederschlag findet dies unter anderem in einer engen strategischen Zusammenarbeit in den Bereichen Meeresforschung, Windenergieforschung, Informatik und in den Sozialwissenschaften sowie in der Planung eines gemeinsamen Medizinstudiengangs mit der Universität Groningen. Der Oldenburger Universitätspräsident trägt die Kooperation über seine Rolle als Beiratsvorsitzender der Metropolregion Bremen-Oldenburg im Nordwesten („Metropole Nordwest“) auch in die Region. Die Entwicklung des Stiftungskonzeptes zur NOWETAS-Stiftung (Nord West Universitas) wird zum Katalysator für die strategische Weiterentwicklung der Hochschulzusammenarbeit im Nordwesten, mit Blick auf ein gemeinsames Antreten im Rahmen der zweiten Runde der Exzellenzinitiative in den Jahren 2010/11.

Wachsende nationale Anerkennung

Die dynamische und rasante Entwicklung der Universität Oldenburg erntet auch national sichtbare Anerkennung: 2007 tagt der Wissenschaftsrat in Oldenburg und nimmt plastische Eindrücke der aktuellen Entwicklung mit. Mit dem Erfolg in den Stifterverbandswettbewerben „Profil und Kooperation“ (ein Wettbewerb um die besten Profilbildungsstrategien kleiner und mittelgroßer Hochschulen) im Jahr 2007 wird die Nord-West-Kooperationsstrategie der Universität ausgezeichnet und die Grundlage für die NOWETAS (Nord West Universitas)-Stiftung gelegt.

Im Februar 2008 erfolgt mit dem Sieg im Stifterverbands-Wettbewerb „Stadt der Wissenschaft 2009“ ein weiterer nationaler Durchbruch. Die Universität Oldenburg wird spätestens jetzt als eine der besonders dynamischen und beweglichen mittelgroßen Hochschulen wahrgenommen. Im Sommer 2008 steht sie fantastisch da: Das „Stadt der Wissenschaft“-Jahr liegt vor ihr, die Nord-West-Kooperation ist auf einem hervorragenden Weg, die meisten Ziele des Leitbilds 2010 sind erreicht.

Doch dann vernimmt die Öffentlichkeit eine überraschende Nachricht: Am 19. August erklärt der Präsident seinen vorzeitigen Rücktritt und kündigt an, er wolle sich wieder „verstärkt der Nachhaltigkeitsforschung und -politik widmen“, was er mit der dann bald folgenden Übernahme des Vorsitzes der niedersächsischen Regierungskommission Klimaschutz sowie später des Präsidentenamts des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt und Energie auch tatsächlich tut.

Es lohnt daher ein Blick auf die Geschichte der Universität Oldenburg 2004 bis 2008 aus der internen Perspektive.

Die Innensicht – eine konfliktreiche Mikropolitik-Story

Viele der in den 1970er Jahren gegründeten Reformuniversitäten litten und leiden unter einem Grundkonflikt, der auf ihre Gründungsgeschichte zurückgeht und durch die Wissenschaftsentwicklung ab den 1980er Jahren verschärft wurde und strukturell nur schwer auflösbar ist. Dieser Konflikt zeigte und zeigt sich auch in der Universität Oldenburg: Die Universität entstand im Jahr 1974 aus einer pädagogischen Hochschule und wurde in allen Fächern mit einem stark politisch geprägten Gründungselan aufgebaut. Die Lehrerbildung und die Sozialwissenschaften bildeten dabei einen quantitativen Schwerpunkt. Ab den 1980er Jahren veränderte sich das wissenschaftspolitische Klima. Die in der Hochschulexpansion dominante Lehr-Orientierung sowie die sozialwissenschaftliche Schwerpunktsetzung traten zurück gegenüber einem eher klassischen, sehr stark von den Naturwissenschaften geprägten Forschungsverständnis. Vor diesem Hintergrund bildeten sich in Oldenburg wie in vielen Reform-Hochschulen zwei Lager heraus, die sich zum Teil unversöhnlich gegenüberstanden: Ein Lager, das die Reformimpulse der Gründungsphase erhalten wollte und die Hochschule insbesondere in ihrer breiten Ausbildungs- und gesellschaftlichen Reflexionsleistung begründet sah, stand dem Lager gegenüber, das die jungen Reformuniversitäten an die Standards „klassischer“ Wissenschaft heranführen wollte – was sich insbesondere am Erwerb der DFG-Mitgliedschaft sowie der verstärkten Einwerbung von DFG-Drittmitteln bis hin zu koordinierten Instrumenten wie DFG-Sonderforschungsbereichen festmachte.

Die Kämpfe und Konflikte der beiden Lager wurden insbesondere über Ressourcenverteilungen in den Fächern (wer erhält wie viel Mittel und vor allem Stellen?) sowie über die Berufungspolitik neuer Professorinnen und Professoren ausgetragen (welcher Ausrichtung gehört die neue Kollegin/der neue Kollege an?). Nachdem in den Anfangsjahren das Reformlager dominant war, veränderten sich in den 1990er Jahren – flankiert durch eine die klassische Ausrichtung unterstützende Wissenschaftspolitik – die Kraftverhältnisse zugunsten des Forschungslagers. Diese Verschiebung schlug sich jedoch häufig nicht in den – für Präsidentenwahlen relevanten – Gremienzusammensetzungen wie den Konzilen und akademischen Senaten nieder. In diesen Gremien engagierten sich die Vertreterinnen und Vertreter des Reformlagers meistens überproportional. Die Vertreterinnen und Vertreter des Forschungslagers scheuten in aller Regel Gremientätigkeit und wählten eher den Weg der Entkopplung ihrer Forschungstätigkeiten durch die Gründung über Drittmittel finanzierter Bereiche und An-Institute. So waren zum Beispiel die Beteiligten an Sonderforschungsbereichen oder Institute wie das Informatik An-Institut OFFIS von den Mittelverteilungskämpfen innerhalb der Universität anfangs weniger betroffen.

Zum Ende der 1990er Jahre mit Verschärfung des Drittmittelwettbewerbs veränderte sich die Situation, da gerade die Einwerbung großer koordinierter Forschungsverbünde (wie Graduiertenkollegs, Sonderforschungsbereiche und ab 2005 Exzellenzcluster und Graduiertenschulen) auf die Fokussierung und Konzentration von Ressourcen in der Universität auf bestimmte Bereiche angewiesen war, um die für diese Form der Förderung nötigen kritischen Massen zu erreichen. Klare Schwerpunkt-(„Leuchtturm“)-bildung stand damit im Widerspruch zu breiter Gleichverteilung und in der Ressourcenausstattung an der Lehrbelastung orientierter Mittelverteilung. Fächer mit hohen Studierendenzahlen, aber geringerer klassischer Forschungsprofilierung (wie die Lehrerbildung, die Wirtschafts- und Sozialwissenschaften) standen im Konflikt mit forschungsstarken naturwissenschaftlichen Fächern mit teilweise nur geringen Studierendenzahlen.

„Breit ausgerichtete Lehr-Universität“ oder „fokussierte Forschungsuniversität mit begrenzter Studierendenzahl“ waren die pointierten Formeln des Ausrichtungsstreits, die den universitätsinternen Debatten zugrunde lagen. Diese Debatte vollzog sich dabei an Standorten, die sich durch ihre landespolitische Positionierung nicht einfach für einen der beiden Pole entscheiden konnten: Als Standorte zumeist strukturschwacher Gebiete mit kaum weiteren größeren Forschungseinrichtungen, zogen sie ihre Existenzberechtigung insbesondere aus ihrer Ausbildungsleistung für Regionen, die vor den 1970er Jahren über keinerlei Universitätseinrichtungen verfügten. Alle Abiturienten des
Nordwestens mussten vor der Gründung der Universitäten Bremen und Oldenburg in Münster, Hamburg oder Göttingen studieren. Sich nur auf die Lehrleistung zu konzentrieren, bedeutete aber ab Mitte der 1990er Jahre die Gefahr, mittelfristig den Status als Universitätsstandort zu verlieren und damit unattraktiv für sehr gute Hochschullehrerinnen und -lehrer sowie sehr gute Studierende zu werden.

Ergebnis waren und sind daher zwangsläufig Strategien der möglichst eleganten Vermittlung zwischen beiden Polen, die aber eine verbleibende latente Unzufriedenheit in beiden Lagern strukturell natürlich nicht überwinden kann. Deshalb ist das Verständnis dieses Grundkonflikts wichtig, um den Start, den Verlauf und das Ende meiner Amtszeit besser verstehen zu können.

Die Wahl 2004

Der Vorlauf zur Oldenburger Präsidentschaft ab dem Jahr 2004 war vor dem Hintergrund der geschilderten Grundkonstellation ein Oldenburger Klassiker: Ein amtierender Präsident, der gerne weitergemacht hätte, hatte dafür nicht mehr genügend Rückhalt in der Universität und konkret im akademischen Senat. Die Veränderungen in Hochschulgesetz und in der Grundordnung der Universität markierten dabei aber diesmal eine veränderte mikropolitsche Streitordnung:

Bis einschließlich 1998 waren die Präsidenten durch ein weit über 100-köpfiges Konzil gewählt worden. Die Entscheidungen um die Präsidentschaft waren bis dahin ein ausschließlich intern getragener Prozess mit zum Teil schwer kalkulierbaren Eigendynamiken, da das Konzil ein nur selten zusammentretendes und allein schon durch seine Größe nur schwierig zu koordinierendem Gremium war.

Die Präsidentenwahl 2004 verlief unter veränderten Vorzeichen. Sie oblag erstmalig dem 13-köpfigen Senat, zudem war der im Jahr 2003 neu eingesetzte Hochschulrat intensiv in den Prozess eingebunden: Eine gemeinsame Findungskommission aus Senat und Hochschulrat koordinierte den Such- und Auswahlprozess sowie die Vorlage eines Wahlvorschlags an den Senat. Nach der Wahl durch den Senat bedurfte es der Bestätigung der Wahl durch den Hochschulrat, um die Ernennung des künftigen Präsidenten durch den Minister zu ermöglichen.

Für Siegfried Grubitzsch, in dessen Amtszeit die erfolgreiche Forschungsprofilierung der Universität Oldenburg fortgesetzt wurde und insbesondere eine wegweisende Fakultätsstrukturreform stattfand, stand die Wahl unter schwierigen Vorzeichen. Die neue schwarz-gelbe Landesregierung hatte im Rahmen einer umfassenden Haushaltskonsolidierung ein „Hochschuloptimierungskonzept“ verabschiedet, das mit relevanten Einsparungen für alle niedersächsischen Hochschulen verbunden war.

Die Debatten um diese Kürzungen wurden – gerade im Hinblick auf die Sozialwissenschaften – vehement geführt und hatten an einer Carl von Ossietzky Universität natürlich auch eine besondere Symbolik, da der Universität drohte, ihr sozialwissenschaftliches Herz zu verlieren. Formeln des „es gilt die (naturwissenschaftlich-technischen) Stärken zu stärken“ und insbesondere „Leuchttürme“ im Profilierungswettbewerb der Hochschulen weiter auszubauen, wurden zu massiven Widerstand auslösenden Kampfbegriffen.

Die Situation war für alle Hochschulpräsidenten in Niedersachsen im Jahr 2003 äußerst schwierig. Letztlich setzte sich 2004 – aufgrund des neuen Hochschulgesetzes – in den fast flächendeckend stattfindenden Neuwahlen kaum einer der amtierenden Präsidenten durch. In Oldenburg war die Situation für den amtierenden Präsidenten in der inneren Wahrnehmung dadurch erschwert, dass er ursprünglich als ein Vertreter des linken Reformflügels der Gründungsjahre galt und in seiner Amtszeit nun zum Wahrer des naturwissenschaftlichen Establishments und Abwickler nicht nur seines eigenen Fachs (Psychologie), sondern auch der identitätsstiftenden Kernfächer der Universität zu werden drohte. Dies gab den Auseinandersetzungen eine hohe Emotionalität.

Der amtierende Präsident wurde im Hinblick auf die Wiederwahl durch die forschungsstarken Bereiche in den Naturwissenschaften und der Informatik gestützt. Auch bei den Vertretern der Region inner- und außerhalb des Hochschulrats wurde auf eine Fortsetzung der Präsidentschaft von Siegried Grubitzsch gesetzt. Eine in diesem Zeitraum verabschiedete Veränderung des Hochschulgesetzes machte die Wiederwahl des damals 63-Jährigen für zumindest vier weitere Amtsjahre möglich. In der zu dieser Zeit größten hochschulpolitischen Gruppe im akademischen Senat, der Gruppe „Hochschulautonomie“, die für die Wahl über sechs der insgesamt 13 Senatssitze verfügte, bestand jedoch der Wunsch nach einer Alternative. Dies beförderte meine Kandidatur. Ich war damals Dekan der Fakultät für „Informatik, Wirtschafts- und Rechtswissenschaften“ und schon früh nach meiner Berufung 1998 zur „Hochschulautonomie“ gestoßen, für die ich unter anderem auch als Senatsmitglied in unterschiedlichen hochschulpolitischen Prozessen mitgewirkt hatte.

Anfangs eher als Überraschungskandidat mit geringen Erfolgschancen gehandelt, entwickelte sich in den entscheidenden Wochen vor der Wahl Anfang 2004 eine große Unterstützung für mich. Die öffentliche Anhörung, zu der neben Siegfried Grubitzsch und mir noch ein externer Kandidat mit Unternehmensberatungshintergrund geladen war, brachte den endgültigen Stimmungswechsel. Es zeichnete sich für mich eine klare Mehrheit im Senat ab. Die Findungskommission aus Vertretern des Senats und des Hochschulrats schlug beide internen Kandidaten zur Wahl vor. Siegfried Grubitzsch erklärte jedoch noch vor der entscheidenden Senatssitzung den Verzicht auf seine Kandidatur und ersparte der Universität durch diese honorige Geste nur schwer zu kalkulierende Konfliktlagen, die sich insbesondere durch die geteilten Machtverhältnisse zwischen Senat und Hochschulrat hätten ergeben können.

Die Wahl von mir als einziger verbliebener Kandidat erfolgte dann am 25. Februar 2004 mit Zweidrittelmehrheit im ersten Wahlgang und wurde zeitnah vom Hochschulrat bestätigt. Stärker aber, als mir selbst zu diesem Zeitpunkt und auch später in meiner Amtszeit bewusst war und wurde, sollte der oben skizzierte Grundkonflikt und die mikropolitische Genese der Wahl 2004 erhebliche Rückwirkungen auf den Verlauf und das Ende meiner Amtszeit als Präsident der Universität Oldenburg haben. Die Folgen des Wahlprozesses lagen auf zwei Ebenen:

  • Sehr hohe Erwartungen gab es beim Protestlager, dass es zu einer starken inhaltlichen Umkehr von Politik, Stil und Kommunikation durch das Präsidium kommen würde. Entsprechend hoch war auch das mit solchen Erwartungen verbundene Enttäuschungspotenzial.
  • Hohe Anfangsskepsis der forschungsstarken Bereiche und des regionalen Umfelds ob meiner Person als junger Präsident des Reformlagers, die dazu führte, dass ich Gefahr lief auf diese Skepsis in vermutlich zu starkem Maße einzugehen

Der Start

Der Start aber erfolgte mit internem Rückenwind. Die Vision der Verbindung von „Exzellenz und Authentizität“, wie ich sie in der Antrittsrede entwickelt hatte, hatte Charme für alle Lager in der Universität. Sie ließen sich auf den Leitbildprozess 2010 ein und führten ihn unter meiner Leitung zu einem guten Abschluss. Auch die Wahl Karen Ellwangers und Reto Weilers als Vizepräsidenten verlief reibungslos, verkörperten beide Kandidaten doch hervorragend die Mischung aus Exzellenz und Authentizität.

Mein Ziel war es, ein starkes Präsidiumsteam mit umfassender Verankerung in der Professorenschaft zu schaffen. Durch eine autonome Ressortierung und der Bildung von eigenen Stabsstellen für Forschung und Lehre sollte zudem gewährleistet werden, dass die Vizes selbst umfassend gestalten konnten. Beides gelang: Mit Reto Weiler übernahm der Leiter des ersten Sonderforschungsbereichs (SFB Neurobiologie) die Vizepräsidentschaft für Forschung, dazu insbesondere animiert durch Karen Ellwanger, die Vizepräsidentin für Studium und Lehre wurde. Karen Ellwanger war Studiendekanin der Fakultät III (Sprach- und Kulturwissenschaften) und eine zentrale Kraft der Gruppe „Hochschulautonomie“, die meine Kandidatur unterstützt hatte.

Die prominente Besetzung entfaltete schnell ihre Wirkung. Aus beiden Ressorts heraus wurde kraftvoll und zum Teil auch kontrovers gestaltet. Die im bundesweiten Vergleich frühe Umsetzung der neuen Bachelor- und Master-Strukturen in allen Fakultäten brachten gerade Karen Ellwanger immer wieder besondere Herausforderungen, die hohe Konfliktfähigkeiten beanspruchten.

Reto Weiler entdeckte mit zunehmender Amtszeit sein herausragendes Wissenschaftsmanagement-Talent,
erarbeitete Strukturpläne mit allen Fakultäten und koordinierte die forschungsausgerichteten Neuberufungen mit den Fächern. Er war auch der zentrale Motor bei der Einwerbung des EWE-Forschungszentrums
NEXT ENERGY und arbeitete in enger Kooperation mit den Oldenburger Kliniken an der Planung eines Uniklinikums Oldenburg (später „European Medical School“) – eine Initiative, die schon unter Siegfried Grubitzschs Federführung gestartet war, aber unter der Leitung von Reto Weiler dann eine hohe Dynamik bekam.

Die Stärke der Vizepräsident*innen war Segen und Fluch zugleich. Viele der herausragenden Leistungen der Universität wären ohne sie nicht möglich gewesen. Auf der anderen Seite wurde das Präsidium aber zu einer Ansammlung nur lose gekoppelter Kraftzentren mit zum Teil divergierenden Richtungen, deren Inkompatibilität sich erst auf Dauer zeigen sollte. Der Wechsel von Gerlinde Walter als Vizepräsidentin für Verwaltung nach Bremen und das Ausscheiden von Karen Ellwanger nach nur einer Amtszeit aus dem Präsidium waren dieser Dynamik geschuldet – trotz aller ungebrochenen persönlichen Wertschätzung.

Durch den Umbau des Präsidiums – Sabine Doering, Professorin für Literaturwissenschaften, folgte Karen Ellwanger, Heide Ahrens wurde Nachfolgerin von Gerlinde Walter – verbesserte sich die Situation nur bedingt. Insbesondere entstand durch das neue Präsidium eine Schieflage in der Vertretung der unterschiedlichen Gruppeninteressen. Sabine Doering war Mitglied der konservativen Hochschulgruppe und vertrat damit ebenfalls das eher forschungsorientierte Lager. Obwohl von der „Hochschulautonomie“ an mich herangetragen, verzichtete ich auf die Berücksichtigung einer Kandidatur aus dieser Gruppe, da mir die Persönlichkeit und fachliche Qualität für das neue Team wichtiger erschienen.

Auch wenn die Wahlen von Sabine Döring und Heide Ahrens sowie die Wiederwahl von Reto Weiler formal glatt liefen, so stellte sich doch im Reformlager und in der Hochschulautonomie viel größere Skepsis als bei der ersten Wahl ein.

Neuaufbau der Sozialwissenschaften

Einen wichtigen ersten inhaltlichen Bruchpunkt bildete der Neuaufbau der Sozialwissenschaften in den Jahren 2005/06. Noch in meiner Zeit als Senatsmitglied hatte ich mich 2003 im Rahmen der Landeskürzungen gegen den weitgehenden Abbau der Politik- und Sozialwissenschaften eingesetzt. In einer Mindeststärke konnten sie damals auch erhalten werden – gegen den anfänglichen Widerstand meines Vorgängers und der schwarz-gelben Landesregierung, die auch das in den Fächern selbst entwickelte Zukunftskonzept verwarf.

Bei meinem Amtsantritt stand der fast vollständige Generationswechsel bei den Professuren der Sozialwissenschaften an. In Hintergrundgesprächen mit der Landesregierung gelang es mir, eine Zustimmung zur umfassenden Neubesetzung der vorhandenen Professuren zu erreichen – sofern diese durch die Wissenschaftliche Kommission des Landes und externe Gutachter begleitet würde. Für die Kommission konnte ein Kreis renommierter Sozialwissenschaftler gewonnen werden, und nach einer sehr breit wahrgenommenen Ausschreibung der Eckprofessuren und einem straff geführten Verfahren wurden international hervorragend ausgewiesene Kandidatinnen berufen, die nach intensiv geführten Verhandlungen auch zusagten.

Das, was von außen mit Respekt wahrgenommen wurde, führte aber zu einem weitgehenden Bruch, nicht nur mit großen Teilen der bestehenden Sozialwissenschaften, sondern auch mit dem gesamten universitären Reformlager. Dieses fühlte sich von der Art meines Top-Down geführten Verfahrens düpiert und empfand die Ergebnisse der Berufungen als einen Kniefall vor formaler Exzellenz und in keiner Weise dem kritischen Oldenburger Profil verpflichtet. Die den neuen Professoren gewährten Ausstattungen schürten zudem die Unzufriedenheiten.

Zu starke Managementorientierung?

Einen am Anfang ebenfalls unterschätzten Effekt hatte meine fachliche Herkunft. Als Betriebswirt bewegte ich mich im Kosmos der modernen Managementansätze. Leitbildentwicklung, neue Steuerungsinstrumente, eine effiziente IT-Organisation, die aktive außenorientierte Nutzung von Berichtsinstrumenten wie dem Jahresabschluss. All das erschien mir als selbstverständliches Instrumentarium auch für die Steuerung einer Hochschule – zumal die hochschulpolitische Debatte um ein „New Public Management“ dies nur zu nahelegte. Und auch die Universität Oldenburg bot hier erhebliches Entwicklungspotenzial.

Diese Orientierung schuf schon bald ein für mich vermintes Feld – und dies in zweifacher Hinsicht:

  • Es provozierte automatisch Probleme in der Kompetenzabgrenzung zwischen mir und der Vizepräsidentin für Verwaltung, weil ich mich kraftvoll und mit Freude in klassische Aufgabenbereiche der Verwaltungsgestaltung einbrachte.
  • Noch bedeutender: Das, was in einem Unternehmen selbstverständlich zusammengehört – die Strategie- und die Managementdimension, die daher auch vom Umfeld, insbesondere den Unternehmensvertretern im Hochschulrat, eingefordert wurde – nahmen viele Akademiker der Universität eher als wissenschaftsfremd und zum Teil sogar „wissenschaftsfeindlich“ wahr. Zudem barg die Komplexität vieler dieser Aufgabenfelder zahlreiche Konfliktpotenziale, in denen es aus akademischer Sicht wenig zu gewinnen, aber viele Sympathien zu verlieren gab. Die personelle Neubesetzung und Reorganisation des IT-Bereichs unter meiner Federführung war dafür ein Beleg.

Insbesondere in professoralen Kreisen entstand so der Eindruck, ich sei letztlich zu stark „Hochschulmanager“ und zu wenig die akademische Würde der Institution transportierender „Rektor“.

Zu diesen beiden Aspekten gesellten sich im Laufe der vier Jahre Amtszeit unvermeidlich weitere.

Strategisch relevant war die besondere Bedeutung, die ich dem Umwelt- und Nachhaltigkeitsprofil der Universität beimaß. Hier sah ich ein ganz besonderes Alleinstellungsmerkmal, weshalb ich selbst nach Oldenburg gekommen war. Die von der Wissenschaftlichen Kommission des Landes kritisierte zu geringe übergeordnete Koordination der Oldenburger Umweltforschung griff ich daher mit meinem Amtsantritt engagiert auf und trieb die Gründung des übergeordneten universitären Nachhaltigkeitszentrums COAST voran, stärkte dieses Zentrum mit eigenen Stellen für die Geschäftsführung und beförderte die Integration der Umweltwissenschaften der Universität Vechta in die Universität Oldenburg sowie den Aufbau einer energie- und umweltbezogenen Koordination in der Lehrerbildung.

Dieses mir besonders wichtige Thema fand aber in keiner der Präsidiumszusammensetzungen wirklichen Widerhall, wurde mehr geduldet als aktiv unterstützt. Auch in Teilen der dem Nachhaltigkeitszentrum zugeordneten Bereiche wie der Energie- und Meeresforschung gab es häufig Bedenken, weil befürchtet wurde, dass eine Zurechnung zu einem übergeordneten Nachhaltigkeitsprofil der Universität Oldenburg die Profilierung des eigenen Forschungsbereichs schwäche und zu stark normativ überforme.

Ähnlich latente Differenzen löste die aktive Nord-West-Strategie aus. Die Universität Oldenburg hatte in ihren starken Forschungsbereichen trotz formaler Kooperation viel persönliche Zurückhaltung kultiviert, obwohl es inhaltlich viele Synergien gab.

Trotz aller überzeugenden Argumente und der starken Unterstützung der Regierungen von Niedersachsen und Bremen für eine gemeinsame Nord-West-Universitätsstrategie gab es bei einer relevanten Zahl wichtiger Universitätsakteure viel Zurückhaltung – zu viel. Personal- und Sachentscheidungen, die von einer solchen Strategie getragen waren, wurden deshalb auch nicht von allen Teilen der Universität akzeptiert.

Senatsrituale

Die für die vorzeitige Beendigung meiner Amtszeit entscheidende Arena war der 13-köpfige akademische Senat mit seinen über die Jahre entwickelten eigenen Ritualen. Die besondere Dynamik der Senatsdebatten ist dabei letztlich einer Dialektik geschuldet: Seit den 1990er Jahren wurden die Einflussmöglichkeiten des Senats und seiner Kommissionen durch die Hochschulgesetzgebung systematisch zurückgeschraubt. 2004 war ihm in hochschulpolitischen Angelegenheiten faktisch nur noch die Wahl des Präsidiums geblieben.

Im Habitus und Agieren vieler langjähriger Senatsmitglieder hatte der Machtverlust aber kaum Spuren hinterlassen. Der Senat wurde weiterhin als der einzige legitime Ort für die Verhandlung der für die Universität relevanten Fragen und Entscheidungen angesehen. Die durch die Gesetzeslage reduzierte Bedeutung versuchte man häufig durch einen noch pointierteren Vortrag der eigenen Argumentation und eine noch systematischere Nutzung der letzten verbliebenen formalen Rechte zu kompensieren.

Im Lauf der Zeit führte diese Konstellation zur Bildung von zwei zentralen Lagern: (a) denjenigen, die sich äußerst engagiert und umfassend in die Senatsdebatten einbrachten, weil sie in diesem Gremium die einzige verbliebene Arena eines einer akademischen Institution würdigen Diskurses sahen, und (b) der Gruppe genervter „Aufpasser“, die die Senatssitzungen am liebsten in dreißig Minuten abgehakt hätten, weil sie ihre Anliegen auf vielen anderen Wegen mit dem Präsidium verhandelten. Auch die als nicht stimmberechtigte Mitglieder anwesenden Dekaninnen und Dekane waren als Hauptansprech- und Abstimmungspartner für das Präsidium in diesem Prozess selten eine wirkliche Hilfe. In den Senatssitzungen ließen sie sich nur zu häufig von den ritualisierten Dynamiken mitreißen – insbesondere dann, wenn es den Interessen der eigenen Fakultät diente.

Als Sitzungsleiter des Senats steckte ich mithin in einer vielfältigen Rollenanforderung: Es galt ein Gleichgewicht zu finden zwischen einer den faktischen Mitbestimmungsmöglichkeiten angemessenen Sitzungsführung sowie dem Geben von ausreichend Raum für die Diskussionsbeiträge insbesondere der Gruppen – wie zum Beispiel der Studierenden, die sich ansonsten nur schwierig gleichberechtigt in die Entscheidungslagen der Universität einbringen konnten. Zudem war ich als Sitzungsleiter meistens sowohl erster Moderator als auch – gleichzeitig – Hauptangegriffener, wenn Kritik an Präsidiumsentscheidungen geäußert wurde. Mit dieser doppelten Rollenanforderung spielten die Diskutanten im Senat meistens sehr elegant.

In den Jahren meiner Amtszeit gab es viele Versuche, diese ritualisierte Dynamik aufzubrechen, neue Formen der Vorabstimmungen, Regeln des Senatsablaufs sowie zusätzliche Informationsinstrumente zu definieren. Letztlich ohne Erfolg. Die in die organisationale DNA eingebrannten Rituale gelang es nicht zu brechen.

Fasst man die innenpolitische Situation der Universität im Jahr 2008 nach knapp vier Jahren meiner Amtszeit zusammen, so könnte man sagen: Alles im mikropolitisch normalen Bereich. Einer Reihe von natürlichen Verwerfungen und innenpolitischen Abnutzungserscheinungen in einer lange etablierten Konfliktkulisse standen die vielfältigen Erfolge und die doch hohe Akzeptanz meiner Person – gerade in der Außenwahrnehmung – gegenüber. All dies löst eigentlich keine wirkliche Destabilisierung aus. Aber es kam anders.

Die Sitzung vom 7. Mai 2008

Den entscheidenden Katalysator für die vorzeitige Beendigung meiner Amtszeit stellte die Senatssitzung vom 7. Mai 2008 dar. In ihr entwickelte sich sehr früh der ritualisierte Verlauf von Angriffen gegen Präsidiumsentscheidungen sowie gegen mich selbst. Ich hatte in der Nacht vorher nur kurz und nicht gut geschlafen und war daher weniger entspannt als sonst in der Sitzung erschienen. Nach etwa einer Stunde Sitzung ließ ich meinen Blick über die Runde der Senatsmitglieder schweifen. Was mich dabei ernüchterte, waren weniger die Attackierenden der Linken und der Studentenschaft (an diese Attacken hatte ich mich gewöhnt). Es waren vielmehr diejenigen, die ohne Engagement und Anteilnahme dasaßen, obwohl es um ihre konkreten Anliegen und Vorteile ging. Sie selbst schwiegen, weil ihre Anliegen längst entschieden waren, und beobachteten mich oft nur in der Senatsarena, um mir dann nicht selten vorzuwerfen, dass ich den notorischen Bedenkenträgern zu viel Raum geben würde anstatt sie schnell niederzuringen.

Als dies vor meinen Augen ablief, trug einer der Zentralakteure der Senatsdebatten diesmal einen intellektuell durchaus eleganten Angriff vor. Ich sah in die Runde, packte meine Sachen und verließ die Sitzung mit den Worten: „Ich brauche das hier nicht.“ Das eigentlich Schlimme an dieser Episode war, dass ich mich – kurz danach in meinem Büro angekommen – sichtbar befreit und wohl fühlte, und sich dieses Gefühl auch in den kommenden Tagen kaum legte, obwohl es eigentlich inakzeptabel für einen Präsidenten und Senatssitzungsleiter war. In der Universität löste die Episode dann auch eine Dynamik aus, die zwar nicht die Ursache, aber doch Anlass für die Ereignisse der dann folgenden drei Monate war.

Der massivste Bruch entstand im Vertrauensverhältnis zu den in der Senatssitzung sitzen gelassenen Präsidiumsmitgliedern. Diese führten die Senatssitzung regulär zu Ende. Doch eine vertrauensvolle Zusammenarbeit stellte sich nicht mehr ein. Mein Verlassen der Sitzung wurde nicht als ein situativer Ausrutscher angenommen, für den man sich entschuldigen konnte. Das sah ich selbst. Es gab einen nun auch nach außen deutlich werdenden Riss, der seine Ursachen darin hatte, dass es mich immer weniger befriedigte, nur ein möglichst guter Mediator zum Teil völlig diametral entgegenstehender Partialinteressen zu sein, und ich auch immer weniger eine gemeinsame Linie in der weiteren Ausrichtung der Universität erkennen konnte – wie zum Beispiel in den Grundsatzfragen, die erst durch die Erfolge der abgelaufenen Jahre in dieser Klarheit möglich wurden: So stand eine auf Aspekte der „Nachhaltigen Entwicklung“ und ganz auf die Nord-West-Strategie setzende Strategie des Präsidenten neben einer stark ausgebauten Universität Oldenburg mit eigenem Uni-Klinikum. Es zeichnete sich immer mehr ab, dass diese Perspektiven sowohl strategisch als auch politisch kaum zu integrieren waren.

Und so entstand in den Folgewochen der Senatssitzung im Sommer 2008 eine rege Abstimmungsdiplomatie mit den Schlüsselakteuren des Hochschul- und politischen Umfelds. In ihr vermischten sich unterschiedlich inhaltlich-strategische sowie insbesondere auch persönliche Ziele und Ambitionen, die zu einer großen Koalitionsbildung im Senat führten. Ich selbst stand faktisch ohne jede Unterstützung in der Universität und insbesondere im Senat da.

Die präsidiumskritische Fraktion im Senat, die „Universität im Umbruch“ (früher „Linke Liste“) war durch die Ereignisse in der Anfangszeit meiner Präsidentschaft immer noch ernüchtert („Durchregieren“ beim Aufbau der Sozialwissenschaften, zu wenig „kritische“ Handschrift in Besetzung und Ausfüllung des Präsidiums). Sie hatte zwar kein aktives Interesse an meinem Rücktritt oder der Abwahl und war durch die von ihr kritisierte „Geheimdiplomatie“ in der Universität, in die sie nicht eingebunden wurde, sogar eher abgestoßen. Aber für sie gab es keinen Grund, mich aktiv zu stützen.

Die die Mehrheit bildenden Fraktionen im Senat, die Professorengruppe „Demokratische Hochschule“, zu der die beiden Vizepräsidenten gehörten, und die „Hochschulautonomie“, aus der ich selbst ursprünglich kam, die sich aber von mir zunehmend entfremdet hatte, fanden in dieser Situation zu einer Koalition zusammen. Sie waren dabei weniger durch eine gemeinsame inhaltliche Gestaltungsvision miteinander verbunden als vielmehr durch die Einigkeit, dass ich zurücktreten müsse. All dies war – ironischer- aber nicht überraschenderweise – eine mir sehr bekannte Konstellation – war ich doch selber in einer ähnlichen Stimmungslage vier Jahre zuvor gewählt worden. Und auch meine Präsidiumskollegen fühlten sich spätestens seit der Mai-Senatssitzung stärker anderen Interessenslagen verpflichtet und signalisierten mir das auch deutlich. Ein Kenner der Oldenburger innenpolitischen Prozesse brachte meine Situation in den damaligen Tagen auf den Punkt: „Vom Reformlager wund geschossen, um vom eher konservativen Lager erlegt zu werden.“

Nach einzelnen persönlichen „Signalling“-Gesprächen mit etlichen Schlüsselakteuren innerhalb und außerhalb der Universität, erschienen dann an meinem 42. Geburtstag die Gruppensprecherin und der Gruppensprecher der beiden führenden Senatsfraktionen und skizzierten die Lage einvernehmlich: Falls es nicht rechtzeitig vor der nächsten Senatssitzung zu einem freiwilligen Rücktritt käme, würde auf der nächsten Senatssitzung ein Abwahlantrag eingebracht.

Dabei war den Gesprächsbeteiligten klar, dass die für die Abwahl notwendige Zweidrittelmehrheit zwar nicht zustande kommen würde, ein von den beiden Mehrheitsfraktionen getragener Abwahlantrag eine Fortführung meiner Präsidentschaft ohne Beschädigung von Universität und mir aber kaum ermöglichen würde. Gerade angesichts der beeindruckenden Außenwirkung und Erfolge der Universität traf mich die Konstellation in der Heftigkeit unerwartet. Diese Schärfe des Auseinanderfallens von Innen- und Außensicht einer Organisation hatte auch meine organisationstheoretisch geschulte Fantasie nicht für möglich gehalten.

Einen erholsamen Sommerurlaub und einige gute Gespräche mit Freunden später sowie um eine wichtige
Organisationserfahrung reicher, erklärte ich am 19. August 2008 meinen Rücktritt zum 30. September 2008

Epilog

Mein Beitrag hat das eigenwillige Auseinanderfallen der Innen- und Außenperspektive meiner Präsidentschaft versucht nachzuzeichnen. Vermutlich gibt es noch eine große Zahl weiterer Sichtweisen. Wer wollte das in Frage stellen? Aber unabhängig davon macht gerade das, was hier auf den ersten Blick obskur wirkt, auch den besonderen Charme des Organisationstypus „Universität“ aus. Die auch Irrationalismen zulassenden Freiräume sind in der Wissenschaft nötige Voraussetzungen für die Gewinnung und Vermittlung neuer und unkonventioneller Erkenntnisse. Ohne sie wären der Universität Oldenburg kaum gleichzeitig sowohl in ihrer Außenwirkung als auch in ihrer Innendynamik vier so dynamische Jahre geschenkt worden – mit Prägungen für viele der beteiligten Akteure.

[1] Gerhard Harms und Peter Waskönig (Hrsg.), „Mehr Lust als Last?“ Der Gründungsrektor sowie die Präsidentinnen und Präsidenten der Carl von Ossietzky Universität über ihre Herausforderungen und Erfolge 1974-2015, Oldenburg 2017, BIS-Verlag.

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