Prof. Dr. Michael Daxner

Präsident der Universität von 1986-1998

Prof. Dr. Michael Daxner, 1947 in Wien geboren und aufgewachsen, wurde mit 27 Jahren als Professor für Hochschuldidaktik an die Universität Osnabrück berufen und mit 39 Jahren Präsident der Universität Oldenburg. Bevor er die Hochschullaufbahn einschlug, promovierte er nach einem breit angelegten geistes- und sozialwissenschaftlichen Studium mit 25 Jahren in Wien und beschäftigte sich im österreichischen Wissenschaftsministerium mit der Hochschulreform. Nach zwölfjähriger Präsidentschaft übernahm er in Oldenburg eine Professur für Soziologie und blieb ein international gefragter Hochschulexperte. So war er im Kosovo (Head of the UNMIK Department of Education and Science u. a.) und in Afghanistan beim Neuaufbau der Hochschulen tätig und beriet die österreichische Regierung beispielsweise in der Hochschulgesetzgebung. Zudem er leitete das Forschungsprojekt „Security and Development“ und war Senior Researcher beim Sonderforschungsbereich „Governance“ an der FU Berlin. Aus den Diensten der Universität Oldenburg schied er 2011 aus. Michael Daxner wurde vielfach ausgezeichnet und gehörte zahlreichen internationalen Gremien an. Die Towson State University (USA) und die Staatsuniversität Novosibirsk (Russland) ernannten ihn zum Ehrendoktor, 1999 erhielt er das Bundesverdienstkreuz erster Klasse.

Persönlicher Rückblick auf die Amtszeit

(aus „Mehr Lust als Last?”[1])

Mehr Lust als Last

Denken ist öffentliche Arbeit.
Peter Brückner

Der Abstand zu meinem Abschied 1998 ist genau so lang wie die Dauer meiner Präsidentschaft: zwölf Jahre. Die Erinnerung ist mittlerweile überbaut von wichtigen Jahren und Erfahrungen jüngeren Datums: War ich vor meiner Zeit in Oldenburg stabil – 13 Jahre Osnabrück, davor vier Jahre Wiener Ministerium – wurde mein Leben nach 1998 in kurzen Abständen immer wieder neu orientiert – tatsächlich wurde es, denn nur in begrenztem Maße habe ich es umorientiert. So frei sind wir in unseren Entscheidungen nun auch wieder nicht. Nach Oldenburg lauteten die Stationen Kosovo, Wien, Afghanistan, Berlin.

Vor Oldenburg war alles, das ich anfasste, irgendwie mit Hochschule und Hochschulpolitik verbunden: Hochschuldidaktik, Prüfungsforschung, Wissenschaftssoziologie und -geschichte, Exilforschung, Gesetzeskommentierung, BAföG, Hochschulsozialisation. Das bereitete mich auf mein Präsidentenamt vor und entfernte mich zugleich immer weiter von der Pädagogik – stärker wohl als meinen prominenten Kollegen Dieter Lenzen, der 2010 von Berlin an die Universität Hamburg wechselte, um dort der zweite Nachfolger des früheren Oldenburger Kanzlers und Beinahe-Präsidenten der Universität Oldenburg, Jürgen Lüthje, zu werden. Diese Entfernung von der Pädagogik – Hilbert Meyer, wohl eine der berühmtesten Oldenburger Koryphäen und ein sehr befreundeter Kollege, hatte gar einen anti-pädagogischen Affekt bei mir geortet – ist folgerichtig und wichtig gewesen: Zur Sozialwissenschaft habe ich mich zugehörig gewusst, und die Schritte von der Hochschulsoziologie zur Wissenschaftssoziologie, von dieser zu den jüdischen Studien und zur politischen Soziologie, zur Konfliktforschung und Konfliktanthropologie bis hin zu den politischen Wissenschaften in Berlin waren nur folgerichtig. Dazu hat die Präsidentschaft in Oldenburg maßgeblich beigetragen.

Ich habe regelmäßig und ziemlich sorgfältig alle Stadien meines erwachsenen Lebens aufgeschrieben, allerdings nicht meine Befindlichkeiten im Vordergrund, sondern was ich getan habe und in welchem Umfeld ich gehandelt habe. Als Präsident der Universität Oldenburg – die lange vor ihrer Namensgebung in Carl von Ossietzky Universität so hieß – habe ich das Konzil und die Oldenburger Öffentlichkeit mit langen Berichten und Reflexionen über die Institution und meine Tätigkeit versorgt. Manche fühlten sich genervt, und doch waren die Konzilsberichte ein Mittel demokratischer Kommunikation, das nach meiner Amtszeit in Vergessenheit geriet. Außerdem gab es auch von Gesetzes wegen kein Konzil mehr und die Universität meinte, auf diese Transparenz verzichten zu können.

Ich stelle dies an den Anfang, weil ich eines deutlich machen will: Ich werde nicht nur über Erfolge und Entwicklungen, sondern auch über Rückschläge und Fehler schreiben, auch über Missgriffe und falsche Einschätzungen, die ich mir anlaste. Aber eines habe ich durchgehalten: Ich habe die Universität nie über meine Pläne, Ansichten und Positionen im Unklaren gelassen. Jeder konnte hören und lesen, was der Präsident tat. Nicht immer, was er sich dabei dachte.

Ich will hier keine Chronologie meiner Amtszeit vorlegen. Alle Daten und Entwicklungsstufen sind dokumentiert: durch die Pressestelle (die einer der Herausgeber dieses Buches, Gerhard Harms, vor, mit und nach mir geleitet hat), durch die offiziellen Verlautbarungen und schließlich durch das Presse- und Medienecho, die politischen und kulturellen Kommentare. Ich versuche, soweit es geht, ohne mein Archiv und meine Aufzeichnungen auszukommen. Was ich dem Gedächtnis entreiße, wird Auskunft über mich, aber mehr noch über die Universität, über ihr gesellschaftliches Umfeld geben. Der Abstand zu den zwölf Jahren erlaubt mir, Namen und Organisationen ohne Zorn und Eifer zu nennen, wo dies angebracht ist. Und es ist ohnedies klar: Oft sage ich „ich“, wenn ich „wir“ meine, aber nur mich als konkreten Akteur darstellen will, und oft sage ich „wir“, wenn eigentlich ich der Antrieb und Autor einer Entwicklung war – nicht aus Bescheidenheit, sondern in dem Sinn, wie eine Handlung gedacht und geplant war.

Präsidentenstufen

Ich wurde Präsident in Oldenburg, weil ich 1979 in Kassel gescheitert war. Gegen Ernst Ulrich von Weizsäcker wurde ich mit 58 gegen 19 Stimmen dort gewählt, trotz der Fragen einer aufgebrachten Professorin nach meinem Geschlechtsleben (die Kollegin wollte das wissen, weil Weizsäcker von Studierenden auch danach gefragt worden war) und natürlich nach meinen politischen Ansichten. Der hessische Wissenschaftsminister, dem ich seinen Kandidaten und „seine“ Hochschule wegzunehmen drohte, hatte mich nicht ernannt, und ich erkannte, dass mir ein Rückzug der Universität Kassel mehr nutzen sollte als ein sicher gewinnträchtiger Prozess am Verwaltungsgericht. Anlässlich meiner Kasseler Wahl hatte ich eine Latzhose (zu klein), symbolträchtig in rosa, geschenkt bekommen. Nach meiner Wahl im Mai 1986 in Oldenburg war ich für die, die mich lieber nicht hier gehabt hätten, der Latzhosenpräsident.

Aber ich hatte die Zeit nach meiner Kasseler Niederlage genutzt: Ich hatte viele Fehler bei meiner Bewerbung und meinem Programm gemacht, vor allem potenzielle Bündnispartner dadurch verschreckt, dass ich das Programm vorgeben wollte, das sich die Universität Kassel doch selbst auch so gegeben hätte. Es ging um Kernkraft-Gegnerschaft und Verfahrensweisen der DFG, die damals Kassel nicht aufnehmen wollte. Als ich Jahre später bei der DFG für Kassel stimmte, war Oldenburg schon am Abschluss meiner ersten Amtszeit Mitglied. Und Ernst-Ulrich von Weizsäcker, der später das Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt, Energie leiten sollte, so wie heute Uwe Schneidewind, hatte mir gedankt, dass ich ihm den Weg zu einer für ihn erfreulichen alternativen Karriere mitgeebnet hatte.

So locker sah ich das eigentlich nicht, aber ich hatte in Osnabrück als junger Professor und Dekan unter einem der besten Rektoren bzw. Präsidenten, die eine deutsche Universität nach 1945 je hatte, gelernt: bei Manfred Horstmann, Rektor und Präsident der Universität Osnabrück. Er war Freund und Lehrer, vor allem war er ungeteilt in der Loyalität zu seiner Hochschule, die ihm mehr war als die Versammlung von Professuren, Instituten, Disziplinen. Nach 1986 durfte ich noch einige Jahre mit ihm als Präsident der Nachbaruniversität zusammenarbeiten, eine für Niedersachsen und beide Neugründungen sicher gedeihliche Kooperation, die durch seinen frühen Tod abgerissen ist.

Ein paar Tage nach dem Unfall von Tschernobyl sprach ich bei einer Bewerbungsrede um das Oldenburger Präsidentenamt in Wechloy zu Naturwissenschaftlern. Die waren skeptisch und nicht angetan von vielem, was ich sagte, aber mein Einsatz für den Erhalt der Strahlenmessstelle sollte mir Vertrauen schaffen (das hat später zu unserer noblen Partnerschaft mit der russischen Universität Novosibirsk beigetragen, die einen Partner aus dem Bereich der alternativen Energien suchte und viele Partner in Oldenburg fand). Auch war wichtig, dass ich mit Klaus Jaeckel im Fachbereich Physik einen langjährigen, auch zu früh verstorbenen, Freund und Berater hatte, der wie kein anderer für meine Kandidatur arbeitete und mich nach meiner Wahl oft schon um 7 Uhr früh anrief, um mir sein Missfallen oder auch Gefallen an meinen Taten zum Ausdruck zu bringen. Nach meiner mündlichen Vorstellung vor dem Konzil war ich erschöpft. Ich hatte verstanden, dass Oldenburg schwierig war und bleiben würde, dass die Bruchlinien zwischen Politik und Wissenschaft, zwischen Anerkennung von Leistungen und persönlichen Schicksalen bzw. Netzwerken, auch zwischen der Universität und der Stadt bzw. der norddeutschen Tiefebene, noch komplexer als anderswo verlaufen würden. Die Oldenburger Landschaft, die zur Aufgabe hat, Kultur, Wissenschaft und Naturschutz im ehemaligen Land Oldenburg zu fördern, wollte mir schon bald Curricula vorschreiben.

Als ich aber dann im fünften Wahlgang mit einer Stimme Mehrheit gegen den Amtsinhaber Horst Zillessen gewählt war, wurde vieles leichter als erwartet: Der Minister hatte mit meiner Ernennung keine Probleme, obwohl ein paar besonders „demokratische Hochschullehrer“ und ein Vechtaer Abgeordneter das rechtswidrig verhindern wollten. Ich konnte Johann-Tönjes Cassens seine Loyalität zurückgeben, ohne ihm jemals politisch näher zu kommen. Auch gab mir Rainer Rheude schon ein paar Tage nach der Wahl, als ich mich von einer kleinen Operation erholte, die just zum Wahlzeitpunkt stattfand, einen Vorgeschmack auf kritischen, solidarischen und sensiblen Regionaljournalismus: Ich preise ihn im Nachhinein, obwohl er mich manchmal bis an die Grenze brachte. Er führte eine kleine Gruppe von Journalisten an, die nicht schon über mich herfielen, bevor ich etwas getan hatte. Für die anderen reichte schon der Latzhosen-Österreicher. Ich hörte auch gleich vom Regierungspräsidenten den Hitler-Beethoven-Witz (Hitler war ein Deutscher und Beethoven ein Österreicher), deutliche Worte auch über meine Wirtschaftsfeindlichkeit vom Geschäftsführer der Handelskammer, über die Reserven der Professoren, die mich verhindern und die, die mich vereinnahmen wollten. Gut, dass ich mich erst vom Krankenhaus erholen konnte und im Sommer 1986 vor meinem Amtsantritt in den USA den Grundstock für langjährige USA-Partnerschaften legen sollte – auf einer Forschungsreise mit der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. Aus der Kooperationsstelle mit den Gewerkschaften sind vor mir und mit mir einige spannende Projekte und eine veritable hochkarätige Bundestagsabgeordnete, Thea Dückert, hervorgegangen, die heute an der Universität lehrt – im Jean-Monnet-Center.

Da ich nun nicht mehr aus privaten Gründen nach Oldenburg pendeln musste, konnte ich übersiedeln, blieb dem Dobbenstadtviertel zwölf Jahre lang treu, zunächst auch als Nachbar eines der wichtigsten Kollegen in der Innenstruktur dieser Universität, Christian Leszczinki von der Psychosozialen Beratungsstelle – auch er ein früh verstorbener Freund. Das kann ich meinem Rückblick nicht ersparen: die Namen oder das Gedächtnis sehr vieler mir nahestehender Freunde und Kollegen, von denen ich durch Amt und Lebensführung weiter getrennt war, als es der Freundschaft oft guttat, die aber umgekehrt mehr als nur kollegiale Begleitung waren. Neben Klaus Jäckel, dem eigentlichen Initiator meiner Bewerbung, waren es der Physiker Ulrich Radek, der Auslandsamtsleiter Johannes Buchrucker und viele andere, die während meiner Amtszeit gestorben sind und die diese „enge Trennung“ von persönlicher und öffentlicher Kommunikation auch zu einer Aufgabe, nicht nur zur genossenen Freundschaft gemacht haben. Am deutlichsten wurde dies bei meinem Freund und Vorbild Manfred Horstmann. Ich nenne solche Namen auch deshalb, weil sich die Beziehung des Präsidenten zu seinem beruflichen Umfeld vielen und oft nicht erklärbaren Deutungen ausgesetzt sah, die dann doch wieder Teile der Hochschulpolitik wurden und nicht selten ein Eigenleben führten. Wichtig zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang mein erster Vizepräsident Herbert Uppendahl, mit dem mich während seiner Amtszeit wenig verband, der mir aber in der Zeit seiner letzten Krankheit zu einem Freund werden sollte.

Der Anfang meiner Amtszeit war objektiv schwieriger als ich mir lange Zeit eingestanden hatte. Ich schob alles auf die Erfahrungen, die ich wohl machen musste, und lernte erst allmählich die Oldenburger Besonderheiten kennen, die vielleicht nicht typisch für alle Universitäten, auch nicht für alle Neugründungen, waren. Wo kommt es schon vor, dass der neue Präsident von Vertretern des Mittelbaus vor der öffentlichen Drittmittelforschung gewarnt wurde („Wir machen das hier nicht so!“), während die gleiche Gruppe ihre Forschungsfreisemester zu verteidigen suchte – wegen der prinzipiellen Gleichheit mit den Professoren. Das erste Prinzip fand ich eher komisch, dass zweite grundsätzlich nicht falsch. Allerdings musste ich die Freisemester doch schnell suspendieren (übrigens verwandelten sich viele Mittelbauangehörige, die den Professorentitel erhielten, sehr schnell ins Professorale).

Das größte Problem war, dass die Universität in zwei Lager zerfallen war, die sich mit Wagenburgmentalität gegeneinander abgrenzten. Konflikte wurden auf der Ebene von Affären ausgetragen. Die Spitzelaffäre, die Rechtsradikalismus Affäre, der feministische Bildersturm gegen Grafiken von Wunderlich im Senatssaal … alles Affären, die die Arbeit der meisten Universitätsangehörigen nicht beeinflussten, aber doch gestört haben; und die Außenwirkung war auch nicht erfreulich. Dort hatte ich einige höchst prosaische Felder zu beackern. In Oldenburg hieß es: Klinken putzen, Kontakte zu allen Gruppen der lokalen Gesellschaft knüpfen, wobei ich feststellen musste, dass die meisten ihre Bedeutung für die Universität überschätzten und unsere Bedeutung für sie unterschätzten. Aber die Psychologie spielte auch hier eine große Rolle. Ich tanzte auf dem schmalen Grat, Regionalität zu fordern und Provinzialität zu vermeiden, aber natürlich war und ist Oldenburg provinzieller als der Stadt guttut.

Wer das nicht gerne liest, den erinnere ich an die jahrelangen Bemühungen um den Wissenschaftspark in Wechloy oder jene zwei Schlüsselerlebnisse, die mich endgültig auf die internationale und nicht die lokale Karte haben setzen lassen. Es sollte mein erster Wirtschaftscoup werden: Eine erstklassige Arbeitsgruppe in der Biologie forschte auf dem Gebiet der Großpilzzucht. Wir suchten und fanden den geeigneten regionalen Champignonzüchter. Der wollte aber keine fünf Jahre warten, bis seine Investitionen sich rechneten. Heute produziert unter anderem Ungarn essbare Großpilze, der Oldenburger Unternehmer ist längst Pleite gegangen. Das andere Erlebnis brachte der Universität relativ schnell Statusgewinne: Die Wirtschaft – Arbeitgeber, der IHK-Hauptgeschäftsführer, eben die meisten lokalen Unternehmer – bemängelten unsere Schwäche in der Ausbildung lokal erwünschter Professionen und insgesamt unseren unproduktiven Charakter (Soziologen und Lehrer kosten Geld, bringen nichts). Ich rechnete ihnen vor, wie viel an konsumtiven Ausgaben – vom Wohnungsmarkt bis zur Gastronomie – wir in Stadt und Umland ließen, und drohte, wir würden einmal unseren Bedarf in Bremen decken. Das Klima wurde besser.

Es gab in Sachen Wirtschaft aber auch eine andere Seite – zwei Ausnahmeerscheinungen, denen ich viel zu verdanken habe: Christopher Pleister und Peter Waskönig. Christopher Pleister, Direktor der Raiffeisenbank, der später im Vorstand der DZ-Bank landete, wurde Vorsitzender der Universitätsgesellschaft. Er war jung, für Oldenburg ähnlich zu jung wie ich, musisch, weltläufig, witzig. Wir wollten werben für eine Uni, die sich anschickte gut zu werden. Ich erinnere mich, dass wir im Café des Casablanca-Kinos volkstümliche Vorlesungen (ich: „Vom Zwerge“ und „Vom Wesen“) und Musik (er: Wagner, Jazz, Impromptus) zum Besten gaben, natürlich ein Nebenschauplatz: Aber man erkannte an, dass ich mich um die Stadt bemühte (ein paar Muffel in der Universität nahmen es mir übel: es wäre doch nicht seriös gewesen, was wir taten). Ernst nahm man uns, als ich mit den Schecks fürs Gästehaus ankam, und wir ein Prachtstück von Gästedomizil am Sportgelände in Wechloy errichten konnten (ein Hotel durfte ich später an der Kreuzung Uhlhornsweg nicht bauen, da war die Konkurrenz der städtischen Hotellerie vor – lange Zeit ein Handicap für Kongresse).

Peter Waskönig, ehemaliger Präsident der Oldenburger Industrie- und Handelskammer, Unternehmer aus dem Saterland und später Ehrendoktor der Universität, dem wir unter anderem das Technologiezentrum Oldenburg (TGO) verdanken, war und ist ein Freund, beständig und mit der langen Dauer, die Hannah Arendt für Freundschaft fordert. Allerdings mussten wir uns gegenseitig trauen lernen. Aber dann waren wir ein Gespann, das sich für beides einsetzen konnte: Lokalität und Weltläufigkeit. Ein Unternehmer steht natürlich für die „Wirtschaft“. Dass die lang dauernde Beziehung der Universität mit ihrer, erstmals bundesweit eingerichteten, Kooperationsstelle mit dem DGB auch für die „Wirtschaft“ steht, dass soziale, ökonomische und kulturelle Interessen gleichermaßen nahe und distanziert zur Wissenschaft stehen müssen, um ihr Kritik und Kooperation zu erlauben, das musste erst herausgearbeitet werden. Ohne Peter Waskönig hätten wir es sehr schwer gehabt. Bis heute ist er mehr als ein großzügiger Mäzen und nimmermüder Werber für die Universität: Er lebt die Wirtschaftsethik, die andere nur predigen.

Erfolge, Misserfolge, Routine

Wann darf der Präsident „ich“ sagen, wann ist es „wir“, wann „die Universität“? Ich will hier, wie gesagt, keine Chronologie der Erfolge in meinen beiden Amtszeiten mit ein paar selbstkritischen Tupfern und Misserfolgen zu einem realistischen Bild garnieren. Es ging schon um mehr: immerhin um eine Regionaluniversität mit nachhaltiger Tiefenwirkung, um hunderte Arbeitsplätze, um einen Beitrag zur Hochschulreform, um niedersächsische Landespolitik, ein kleines Stück Weltpolitik war auch drin.

Biografisch hat mich die Zeit als Präsident geprägt, ein wenig verformt, ein wenig gestützt. Ich war gern Präsident, habe auch die Macht, die mit dem Amt verbunden ist, für legitim erachtet und gesucht, die Ohnmacht verspürt (oft hilflos gegen die Schikanen bürokratischer Tradition und die Engstirnigkeit der Politik). Ich habe versucht, Distanz zu halten zwischen meinem Amt und meinem Privatleben, so gut wie bei meinem Akzent ist das sonst nicht gelungen. Ich habe meine Wiederwahl mit Zweidrittelmehrheit genossen und auf die Kandidatur an der Humboldt-Universität schweren Herzens aus Loyalität zu Oldenburg verzichtet, ich habe keine dritte Amtszeit angestrebt und das auch gesagt, bevor es mir falsche Freunde nahegelegt hätten. Weil ich als Hochschulwissenschaftler meine eigene Arbeit ein wenig objektiv beobachten konnte, konnte ich mich als Testversion eines neuen Typs von Hochschulleitung verstehen, als Experiment mit viel Korrekturbedarf und als Prototyp, dessen Modellversion bis heute nachwirkt, auch wenn es eher das Schicksal des Wankelmotors war, dass meine Erinnerung erleidet. Genug von mir, und worin ich Horst Zillessens Abschiedsworten teilweise ähnle: Wenn er sagte: „I did it my way.“, sage ich: „We did it my way – teilweise.“

Misserfolge

Misserfolge sind keine Zufälle, die einen wohldurchdachten Plan durcheinanderbringen. Sie haben etwas mit falschen Planungen oder dem Fehlen von Verbündeten oder mit ausbleibendem Glück zu tun. Oder sie sind die Erfolge von anderen, die die eigenen Pläne zu durchkreuzen suchen. Oft merken andere gar nicht, wie tief sie bei einem selbst wirken. Ich bin ganz gut im Verdrängen von Misserfolgen, aber einige erinnere ich bis heute – und ärgere mich. Ich beschreibe einige der Misserfolge, die meine Erinnerung an die Präsidentenzeit stark prägen.

Universitätsstruktur: Ich hatte mir nicht nur vorgenommen, Präsident für die ganze Universität zu sein, die meiste Zeit über war ich das auch. Ich hatte also keine spezielle Klientel, und für eine sogenannte Hausmacht ist die Universität die falsche Institution. Ich wollte den „Laden“ nach vorne bringen und ihm sein eigenständiges Gesicht erhalten, ohne ihn deshalb ineffektiv oder langweilig zu machen. Ich war immer ein Anhänger des Departmentsystems gewesen, und dass die Uni sich im Gegenteil dazu immer mehr in Institute und Fachbereiche aufspaltete, war nach allen Erkenntnissen der Hochschulforschung kontraproduktiv. Nun gut, ich musste experimentieren, einmal mit Fachbereichsbeamten, einmal ohne sie; einmal mit dem Versuch, starke Dekane und Dekaninnen zu fördern, einmal mit einem eher flach-hierarchischen Konzept. Bis heute ist die Handlungsfreiheit des Präsidiums gehemmt, weil zu viele Mittel dezentral budgetiert werden und man kaum Möglichkeiten hat, massiv aus der Zentrale zu fördern und zu lenken. Das hat übrigens mit mangelnder Demokratie wenig zu tun, auch Pools beim Präsidenten sind der Kontrolle unterworfen.

Außeruniversitäre Institute haben wir viel zu wenig bekommen, und wieder war es die Kommunikation in einen politischen Raum hinein, der Oldenburg einfach meinte ignorieren zu können. Das ist ein Grund, warum ich nach der Gründung von OFFIS weiter auf der Jagd nach Max-Planck- und anderen Instituten war, um die strukturellen Defizite – wir waren lange Zeit zu zersplittert für Sonderforschungsbereiche – auszugleichen. Ich weiß, dass nicht nur das Oldenburg-Stigma, sondern auch etliche Aversionen in den Großforschungseinrichtungen mir gegenüber, die ohnedies geringen Chancen derartige Institute zu bekommen, hemmten – man kann nicht jedermanns Freund sein.

Oldenburger Flugfeld: Das Oldenburger Flugfeld hätte ich so gerne erworben, nachdem es die Bundeswehr nicht mehr wollte. Ein Bündnis aus unverständigen Bürgern – es hätte keinen Fluglärm gegeben – und einer in diesem Punkt völlig ignoranten Stadtverwaltung hat das Projekt verhindert, und als es später der Universität angeboten wurde, war es zu spät. Der Punkt ist für sich nicht wichtig, aber ähnlich wie beim viel zu spät in Angriff genommenen Technologiepark in Wechloy, war in Oldenburg eine recht große Trägheit gegenüber dem Wirtschafts- und Arbeitsmarktfaktor Universität eine gewisse Gleichgültigkeit der „nicht betroffenen“ Wissenschaftsbereiche zu spüren.

Mich nachhaltig beschädigt haben einige Personalentscheidungen, die bis heute nachwirken. Mein Anteil daran war, dass ich sie letztlich getroffen und nicht weiter Widerstand geleistet habe und mich im Falle eines Kanzlers habe täuschen lassen. Unverzeihlich, aber auch eine große Herausforderung, diese Scharte auszugleichen. Wie die Landesregierung diesen Menschen dann fortgelobt hat, war insofern eine zusätzliche Demütigung, als er an seiner neuen Stelle die gleiche Politik wie in Oldenburg machte und scheiterte. Im Nachhinein sehe ich, wie hartnäckig ich die Entscheidung hätte bekämpfen müssen, nachdem ich den Schaden erkannt hatte.

Natürlich gab es sehr viel mehr dieser Misserfolge. Aber die meisten haben keinen nachhaltigen Einfluss auf das Gesamtsystem Uni Oldenburg gehabt. Die Institution hat mir leichter verziehen als einige meiner Kollegen und manchmal ich mir selbst. Auch das sollte in diesem Zusammenhang gesagt werden: Nirgendwo habe ich die Freundschaft und Loyalität derer, die nicht meiner Meinung waren, so schätzen gelernt wie an dieser Universität.

Über die Erfolge redet man natürlich gerne. Ich teile sie auch gerne mit dem Kollektiv, das diese Universität geworden ist, und oft haben andere als ich die Anstöße gegeben. Aber ich bestehe darauf, dass die wichtigsten Ergebnisse meiner Amtszeit sich in ein Konzept einfügen, das man heute Leadership nennt. Das Konzept beinhaltete sehr viel mehr als Expertenwissen über Hochschulen und Wissenschaft (das die meisten Universitätspräsidenten nicht haben, wenn sie gewählt werden), sondern benötigte ein aufwändig gepflegtes Netzwerk mit sozialem Kapital an einer Schlüsselstelle und erstklassigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in wichtigen Positionen. Es musste Vertrauen wecken und damit fundierte Zukunftserwartungen einlösen. Ich lasse persönliche Dispositionen, meine Konfliktfähigkeit, meine Rhetorik und anderes weg, weil ich mich gerade auf sie nicht reduzieren lassen möchte. Natürlich hat mir die Anerkennung für meine Zukunftsüberlegungen gutgetan, aber zugleich war ich es leid, dass ich sie oft viel stärker von außerhalb der Universität als aus ihr bekommen hatte.

Der Tiefpunkt für mich war die Wahl eines Vizepräsidenten als „institutionalisierte Opposition“ (ein Kollege nannte das so) kurz nach meiner Wiederwahl. Man wollte dem „starken“ Präsidenten Fesseln anlegen. Auch das blieb Episode. Aber viel von meiner draufgängerischen Unbefangenheit gegenüber den Universitätsmitgliedern wurde damals zerstört – nicht zuletzt durch die bereits genannten Affären. Es gab immer Universitätsmitglieder, die sich auf alles stürzten, was sich zur Opposition als Prinzip anbot – und es gab, rechts wie links, professoral, studentisch oder dienstleistend wenig „Corporate Identity“, sondern oft viel Kleinkariertes. Da ist die Uni Oldenburg sicher kein Unikat (als mein Freund Dirk Grathoff hier einmal die Fabel vom Magen und den Gliedern des Menenius Agrippa im Senat anbot, wurde er heftig kritisiert). Aber manchmal fühlte ich mich als das Kraftzentrum einer zentrifugalen amorphen Gestalt. Es sollte sich langsam ändern. Heute bin ich diesbezüglich etwas beruhigt. Bevor ich aber zu Erfolgen komme – ich zögere noch, die geneigten Leserinnen und Leser merken es – zwei Konflikte, die keine Affären waren:

Die Namensgebung, die Taube und der Frieden

Das folgende Intermezzo ist für mich ein zentraler Bestandteil der Erinnerung und der Arbeit bis heute. Ich bin seit einiger Zeit in Afghanistan und anderen Konfliktzonen beschäftigt. Ich habe meinen Wissenschaftsschwerpunkt in Forschung und Lehre immer stärker auf Konflikttransformation gelenkt und setze damit eine Konstante meiner Politik fort, die ich lange vor Oldenburg angelegt hatte1. Nun ist die Universität Oldenburg zwar keine Friedensuniversität (was sollte das sein?), aber sie hat sich dem pazifistischen Programm von Carl von Ossietzky verpflichtet und dies entsprechend breit interpretiert und politisiert. Ich teile die Absicht bis heute, aber die Argumente und der schematische Freund/Feind-Diskurs um die Namensgebung sind mir ebenfalls bis heute suspekt – dies trotz einer persönlichen Freundschaft mit der verstorbenen Ossietzky-Tochter Rosalinde von Ossietzky und ihrem Sohn, trotz aller erdenklichen Unterstützung für die Werkausgabe, trotz aller Gesten für die inneruniversitäre Aufklärung. Der Streit wurde von den Gegnern des Namens mit unwürdiger, teilweise dummer Schärfe geführt. Die Namensgeber machten es diesen Gegnern aber auch zu leicht und wussten oft in der Praxis mit Ossietzky selbst wenig anzufangen. Als ich ankam, waren etwa die Ossietzky-Tage zu einem wenig besuchten Ritual verkommen, der Name wurde parteipolitisch instrumentalisiert, und die Väter und Mütter der Namensgebung waren sich nicht immer grün. Zu den Ossietzky-Tagen 1988 aber wendete sich das Blatt: Es gab teilweise vorzügliche Diskussionen, aber natürlich auch Engstirnigkeit im eigenen Haus. Dafür wurde ich durch die Begegnung mit Willy Brandt entschädigt. Die Stunde mit ihm als einem lebenden Vorbild in meinem Büro war übrigens ein Höhepunkt in der Oldenburger Zeit – eine Stunde von großer Intensität. Auch mein Freund Erich Fried sowie Robert Jungk, Ossip Flechtheim und Lew Kopelew waren bei diesen Ossietzky-Tagen dabei und setzten sich nicht nur für die Namensgebung ein, sondern ließen sie uns als inhaltliche Perspektive erscheinen. Die nächsten drei Jahre visierten den formalen Akt der Namensgebung an, der freilich an einen Regierungswechsel in Hannover geknüpft war. Die Ossietzky-Ausgabe und später die Tucholsky-Ausgabe sollten im Übrigen zu Markenzeichen der Oldenburger Editionsgeschichte werden, die wir mit dem Nachlass von Hannah Arendt fortzuführen gedenken.

1991 war es dann so weit: Die Regierung machte den Weg für die Namensgebung frei und Ministerpräsident Gerhard Schröder kam selbst zum offiziellen Akt der Namensgebung: Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Der Kontext der Namensgebung ist bis heute ein aktuelles Feld der Deutung, wie die Diskussion um Rainer Rheudes Buch „Krieg um Ossietzky“ von 20092 zeigt. Natürlich war die Freigabe des Namensgebungsrechts richtig und sollte eine Korrektur der lokalen wie landespolitischen Gegnerschaft bewirken. Die Nachkriegszeit war zu Ende und sollte nach Willy Brandts Rede noch stärker in einen neuen historischen Kontext übergehen. Es wäre nicht Oldenburg, hätte die Freude über die Namensgebung nicht auch ihre kleinen Trübungen erfahren: Es kam zu heftigen inneruniversitären Auseinandersetzungen, die in zwei fast komische und peinliche Debatten ausuferten: Zum einen wurde mein Argument gegen die Friedenstaube auf dem Turm bis zu dem Verdikt hochstilisiert, dass diese Universität den Namen Carl von Ossietzky gar nicht verdiene … wo doch selbst Oskar Lafontaine dieses unverdächtige Zeichen der Friedensbewegung am Revers trage. Ich hatte vor allem im Senat gegen jedes allegorische Logo argumentiert, dass Bilder und Embleme immer missbrauchbar seien, und ließe man das eine zu, wäre man gegen andere wehrlos. Einmal hatte ich die Taube abmontieren lassen. Als sie am nächsten Tag wieder da klebte, ließ ich sie oben und verteidigte meine Passivität gegen die Attacken der politischen Rechten mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Auch nahm man Anstoß, dass im Logo der Namenszug zu klein und Universität Oldenburg zu groß erschien – solche Kindereien wurden mit großen Worten aufgerüstet, bis es den nächsten Anlass der Empörung gab.

Der Golfkrieg

Der erste Golfkrieg markierte das Ende der massenhaften Friedensbewegung, die ihre Höhepunkte in den 80er-Jahren mit den Protesten gegen die Neutronenbombe und die Raketenstationierung erlebte. Seit damals – und davor den Vietnamprotesten – gab es keine solche Mobilisierung. Aber es war schon schwierig, das genaue Motto des Protests zu formulieren. Denn „Kein Blut für Öl“ war offenkundig nachgeschoben, es ging ja um etwas anderes. Als ein Vizepräsident völlig zu Recht im Senat fragte, ob es denn richtig sei, dass ein großer Staat (Irak) einen kleinen (Kuwait) aus welchem Grund auch immer überfallen dürfe, drohte die pazifistische Stimmung wieder einmal zu kippen. Hunderte hatten sich im Sporttrakt auf dem Boden versammelt und diskutierten. Wenn man einmal von drei ärgerlichen Begleiterscheinungen – anti-israelischen Nebentönen, Anti-Amerikanismus, realsozialistischer Heuchelei – absieht, war es beeindruckend, wie hier die zweite Nachkriegsgeneration saß und Krieg diskutierte. Diese Studentinnen und Studenten hatten genau erkannt, dass die alten Slogans von 1968 nun nicht mehr unkritisch zu übernehmen waren (sie hatten einmal ihre größere Gültigkeit, und man sollte sie nicht einfach dem Archiv übergeben). Aber jetzt ging es um Wissenschaft und Frieden, um Universität in einer imaginierten Kriegsgefahr. Da es wenige studentische Protest-
formen gab, die unmittelbar die Bevölkerung erreichten und eine legitime Botschaft verbreiteten bzw. diskutierbar machten, drohte die Angst und Wut sich nach innen zu radikalisieren – ohne Ausgang. Ich war wirklich beeindruckt und hilflos, weil mit jeder Rede die Stimmung stärker über die Analyse dessen „Was ist“ zu siegen drohte. Ich wurde zu einer Stellungnahme aufgefordert. Meine Rede war nicht besonders gut, weil analytisch und ohne allzu große Emotionen. Zu Israel musste ich mir, vielleicht war das der Fehler, größere Zurückhaltung als sonst auferlegen. Hätte ich nicht zum Ende gesagt, der Friede sei mit uns – was religiös gedeutet wurde, aber eigentlich meinte, man solle nicht mit Fernstenliebe und Appellen an andere beginnen – wäre der Protest eine Episode geblieben, trotz täglicher Friedenstreffen, Resolutionen und Debatten. Aber die Auseinandersetzung sollte für mich eine – sich bereits länger anbahnende – Entwicklung hin zur Konfliktsoziologie und zum Problem des Wegschauens bei internationalen Auseinandersetzungen beschleunigen.

In den Jugoslawienkriegen nach 1990 verstärkte sich dieser Aspekt meiner Arbeit und meines Interesses. Da ich in der europäischen Rektorenkonferenz und anderen internationalen Gremien hauptsächlich zu Südosteuropa arbeitete und seit 1991 in Oldenburg davon Kenntnis gab, sollte es niemanden überraschen, dass ich mich ab 1999 im Europarat und später für die Interim Administration der Vereinten Nationen (UNMIK) im Kosovo und auf dem Balkan engagierte.

Endlich: Erfolge

Je nach Detaillierungsgrad und Selbstzuschreibung fällt die Liste lang oder kurz aus. Da ich annehme, dass die Leserinnen und Leser dieses Buches Oldenburg irgendwie kennen, werfe ich einmal ein paar unerklärte Schlagworte auf, manches erinnere ich besonders gern, andere Erfolge verbuche ich unter professionellen Ergebnissen.

Hochschulpolitisch war es wichtig, die Aufnahme in die DFG sorgfältig vorzubereiten, da die Voraussetzungen in Oldenburg dafür schlecht waren – zu kleine Einheiten, keine Kontur der Forschungsbilanz, wenig Vermögen zur Überwindung kleinteiliger Interessen etc. Ich hatte das Debakel des ersten Kasseler Aufnahmeantrags vor Augen, der ja meine Bewerbung 1979 mit motivierte. Die Begehung des Wissenschaftsrats, die Gründung des Instituts für die Chemie und Biologie des Meeres (ICBM) und mein eindringliches Plädoyer bei Hubert Markl, dem damaligen Präsidenten der DFG, spielten hier ebenso eine Rolle wie der Versuch, mich als Markenzeichen meiner Universität anzubieten. „Die Universität Oldenburg ist eine mittelgroße regionale Forschungsuniversität“ sollte durch viele Jahre so oder so ähnlich am Anfang unserer Texte in der Forschungslandschaft stehen. Das Forschungsparadigma war endgültig neben die Ausbildung – vor allem neben die Lehramtsausbildung – getreten.

Meine erste große Senatsdiskussion hatte ich kontrovers um das ICBM auszukämpfen. Die Einwände waren vielfältig, aber unausgesprochen geprägt von der Angst vor einer Machtverschiebung zugunsten starker, nicht unmittelbar ausbildungsbezogener Aktivitäten – objektiv richtige Einwände am untauglichen Objekt. Die Erfolgsgeschichte des ICBM ist nicht typisch für klassische Naturwissenschaften, weil ja die gesellschaftlichen Zusammenhänge der Schwerpunkte dieser Forschung in besonderem Maße der Selbstverpflichtung dieser Universität auf kritische Relevanz Rechnung tragen: Klimawandel, Anstieg des Meeresspiegels, Menschen gemachte Veränderungen des Ästuars etc.

Ähnliche Diskussion gab es zur Einführung der Informatik, wobei die Abwehrhaltung hier teilweise schlicht altmodisch-technikfeindlich, teilweise aber an der scharfen Linie Geistes- und Technikwissenschaften geführt wurde. Am Beispiel der Berufungen auf die Professuren der Informatik wurde über drei Berufungsgenerationen hindurch auch deutlich, wie klein unsere Reserven waren und in wie starkem Maße wir auf die Hilfe Hannovers angewiesen waren. Dass erst die Gründung von OFFIS als An-Institut es erlaubte, über die Fachgrenzen im akademischen Betrieb hinaus, das Fach für Spitzenkräfte attraktiv zu machen, verweist auf eine Problematik der deutschen Wissenschaftslandschaft: Universitäten können sich anders als in den USA, nur sehr schwierig ihre Entwicklungs- und Verwertungsinstitute angliedern; vielmehr findet ein virtueller oder realer Ausgliederungsprozess statt, zum Nachteil legitimen Einkommens der Universitäten, die ja die Grundlage verwertbarer Leistungen selbst sind.

In diese Gruppe von Erfolgen sind auch die ständigen Erweiterungen im Bereich der regenerativen Energie zu zählen – das Engagement mit Studierenden aus der dritten Welt und die Arbeit vor Ort legitimierten die Universität öffentlich. Dass andere umweltpolitische und gesellschaftskritische Aspekte in die Naturwissenschaften Eingang fanden, hat es mir leichter gemacht, die Universität nach außen zu vertreten, als inneruniversitäre Konflikte zu schlichten. Am Beispiel der Akustik und Hörforschung kann man deutlich machen, wie viele Aspekte, Disziplinen, gesellschaftliche und fachliche Themen betroffen sind, und ich konnte auch zeigen, dass es einer erstklassigen Grundlage, zum Beispiel durch Professor Mellert, bedurfte, um ebensolche Neuberufungen, in diesem Fall Professor Kollmeier, durchzusetzen.

In diesem gesellschaftlich relevanten Bereich der naturwissenschaftlichen Grundlagenforschung liegt auch einer meiner größten Erfolge: die Verankerung, Berufung und Positionierung von Hans-Joachim Schellnhuber aus der theoretischen Physik. Er ist heute global bekannt, national an einer Spitzenposition und hat seine Wurzeln in Oldenburg, wo er sich auch habilitierte, nie verleugnet. Wie man aber jemanden in kurzer Zeit von A14 nach C3 und C4 (ordentlicher Professor) bringt und dazu bewegt, vertragstreu mit seiner Arbeitsgruppe mehrere Jahre seiner Universität treu zu bleiben, das gehört auch zu meiner Erfolgsgeschichte. Ich muss das nicht weiter ausführen, aber dass Schellnhuber am Nobelpreis für das ICCP der Vereinten Nationen maßgeblich beteiligt war, hatte ich doch schon in den 90er Jahren ziemlich nachhaltig (und öffentlich) vermutet.

Das PIK (Potsdam Institut für Klimafolgenforschung) unter Schellnhubers Leitung, seine Professur in Oxford und seine Rolle als Berater der Bundesregierung zeigen die Möglichkeiten ganz und gar nicht elitärer Spitzenleistungen: Die müssen irgendwo beginnen, in diesem Fall war es Oldenburg – und darauf sollte man jenseits allen Kollegenneids mehr als stolz sein, denn in der Spitze wird eher gefragt, wo einer herkommt als wohin er geht. Wir haben mehrere, nicht so spektakuläre Fälle wie Hans-Joachim Schellnhuber. Wenn ich heute im Kollegenkreis manchmal auf einen der Spitzenexporte stoße, bin ich schon ein wenig stolz über unsere Gewächse, die ja unter schwierigeren Bedingungen aufwuchsen als andernorts (Wortwechsel mit dem Kollegen Kamp von der Universität Göttingen, als es um Einsparungen in der Physik ging: Er: „Sie können doch die Oldenburger Physik nicht mit der Göttinger vergleichen.“ Ich: „Da haben Sie recht; die meisten Ihrer Nobelpreisträger liegen auf dem Friedhof, unsere sind gerade Assistenten.“)

Es gäbe hier noch mehr Erfolgsgeschichten, aber sie folgen den beschriebenen Mustern. Eine Anekdote ist mir äußerst wichtig. Sie machte mich grimmig. Als das Institut für technische und angewandte Physik (ITAP) als GmbH gegründet wurde, habe ich sofort einen privaten Anteil erworben, um ihn umgehend der Universität zu schenken, damit die Universität hier einen unveräußerlichen Mitbestimmungsanteil hätte erwerben können. Die Universität wollte das ja schon, aber das Finanzministerium machte einen derart peinlichen – meines Erachtens lächerlichen – Aufstand und wollte den Anteil von 2.500 DM in sein Landesbeteiligungskonzept einbringen, dass ich kapitulierte und noch heute Anteilseigner des ITAP bin.

Ich war ja auch gewählt worden, um mich stark und offensiv für die Geistes- und Sozialwissenschaften einzusetzen. Das schien gegenüber den erwähnten Erfolgen im Bereich Natur- und Technikwissenschaft schnell in den Hintergrund zu treten. Ich war auch in der Defensive, bis wir mit der Schaffung der Jüdischen Studien, mit dem Hannah-Arendt-Nachlass und -Zentrum, mit den Ossietzky- und Tucholsky-Editionen deutliche öffentliche Akzente in Richtung auf eine geistes- und sozialwissenschaftliche Profilierung setzten. Einerseits ermutigte ich durch persönliche Intervention später erfolgreiche sozialwissenschaftliche Forschung, andererseits vermochte ich nicht, den Konflikt zwischen verschiedenen Fraktionen gerade in diesem Bereich zu regulieren – mit fatalen Folgen. Die heutige Sozialwissenschaft hat mit der einst starken Oldenburger Stellung im Fach nichts mehr zu tun, die neuen Ansätze sind nur teilweise ein Versprechen, dem hoffentlich zu trauen wir Anlass haben können. Dass ich mich stets loyal für die Lehramtsausbildung eingesetzt habe, war ambivalent. Denn die hohe Qualität der Lehramtsausbildung, die durch die teilweise unbarmherzig rückständige Schulpolitik des Landes geschwächt wurde, ließ nicht viel Raum für andere pädagogische Entwicklungen – wie sie dann später von Anke Hanft unter anderem mit dem berufsbegleitenden Studiengang „Bildungs- und Wissenschaftsmanagement“ eingeleitet und umgesetzt wurden.

Die kleinen Erfolge, die ich mir mit zurechne, sind oft längst in die Substanz der Universität eingewoben – oder auch wiederum verschwunden. Wenn man das CampusRadio heute an vielen Universitäten findet, so war das bei seiner Einführung in Oldenburg gar nicht selbstverständlich. Das Konzept, das Gerhard Harms mit mir für Radio Bremen entwickelte, war tragfähig und gut anerkannt – so gut, dass sich daraus auch eine vom Arbeitsamt mit viel Geld geförderte einjährige Medienausbildung für nicht gleich ins Arbeitsleben aufgenommene Hochschulabsolventen installieren ließ und vielen Teilnehmern eine sehr gute Medienkarriere bescherte. Obwohl es sonst keine Universität gab, die in einem öffentlich-rechtlichen Sender ein eignes Magazin hatte, an dem sich dann auch die Universität Bremen beteiligte, konnte sich mein in den USA genährter Traum von einer eigenen Medienstation mit TV und Radio nicht erfüllen. Das war für deutsche Verhältnisse zu groß gegriffen.

Dennoch: Ich halte diese Funktion von Universitäten bis heute für essentiell. Die allmähliche Entwicklung der Presse- und Informationsarbeit von einem Informationsorgan zu einer Instanz für Marketing, Außenpolitik und inneruniversitärer Selbstverständigung veränderte auch das Verhältnis der Universität zur Medienlandschaft der Region. Dass ich mich ständig auch als „Eröffnungs- und Veranstaltungsagent“ für Kunstausstellungen in der Region betätigte, war mir als selbstverständliche Nebenfunktion eines Universitätspräsidenten weniger ungewöhnlich als vielen Hochschulangehörigen, die dies als Ornament zur Selbstdarstellung missverstanden. Paradoxerweise brachte mir dies mehr Nähe zur unmittelbaren Region als viele hochschulpolitische Leistungen, weil ja für viele Wissenschaften wenig lokales Verständnis vorhanden sein kann.

Ein für mich und die Universität nachhaltiger Erfolg war die Bestellung zum Senator der Niedersachsenstiftung. Sie hat uns eine Reihe wichtiger Projekte eingebracht wie die Weiterfinanzierung für die von Rudolf zur Lippe angeregten Jaspers-Vorlesungen zu Fragen der Zeit und – am Ende meiner Amtszeit – den Hannah-Arendt-Nachlass. Das Engagement für die Stiftung hat auch meine Vernetzung in der Landespolitik nachhaltig gefördert und mich jenseits der Parteipolitik als Repräsentanten eines Konzepts – unserer Universität – ausgewiesen. Bis heute verbindet mich eine Freundschaft mit dem noblen Dominik von König, dem lange amtierenden Generalsekretär der Stiftung, die neben der hohen Kunst und Kultur auch den regionalen Bezügen, die mit der Universität verbunden waren, große Dienste leistete. Mein Verhältnis zu Ernst Albrecht, das in seiner Zeit als Ministerpräsident angespannt war, konnte während der gemeinsamen Tätigkeit im Senat (er war Präsident der Stiftung) repariert werden.

In der Rückschau halte ich neben der DFG-Aufnahme die folgenden Bereiche für so nennenswert, dass sie nicht einfach in die Erfolgsbilanz eingehen, sondern zur Gesamtgestalt der Universität beigetragen haben:

Internationalisierung: Für mich ist die Region oder auch die Stadt wichtig, in der gelebt, gearbeitet und gedacht wird. Aber Provinz war mir immer verhasst in ihrer Bescheidung auf die Strukturen, die die örtlichen Eliten gerade vorgeben. Eine Universität muss international orientiert sein, oder sie ist nicht. Ich denke, dass ich hier viele Ziele erreicht habe, auf denen die weitere Entwicklung der Universität aufbauen kann: Die Partnerschaften mit guten Universitäten weltweit haben uns auch Anerkennung und Forschungserfolge über den Austausch hinausgebracht. Mit Towson in den USA haben wir uns einen „Botschafter“ namens Armin Mruck eingehandelt, der eine überaus aktive Zusammenarbeit seit über zwanzig Jahren managt – Politik, Musik, Verwaltungsaustausch sind hier die Markenzeichen.

Die amerikanischen Hochschulen versuchten wir in einem Konsortium zusammenzufassen, was nur teilweise gelang. Die Partnerschaft mit der staatlichen Universität Novosibirsk, durchaus politisch begründet, ist eine lebendige Zusammenarbeit geworden, die über die Jahre hinweg unser Ansehen gestärkt und neue Horizonte eröffnet hat. Toruń hatte ich bereits von meinen Vorgängern übernommen – die polnische Universität wurde mir besonders lieb, auch durch meine engen Kontakte während des Ausnahmezustands in den 80er Jahren. Insgesamt war die internationale Vernetzung der Universität erfolgreich, auch wenn sie die Kräfte der Verwaltung und das Engagement vieler Kolleginnen und Kollegen oft überforderte.

Dass Oldenburg bis heute in vielen Teilen der akademischen Welt einen guten Ruf hat, ist ein Ergebnis jener Zeit, wo der Reformenthusiasmus des Ausbaus sich auch auf unsere Partner übertrug. Nicht nur die Vizepräsidenten, auch das Zentrum für wissenschaftliche Weiterbildung unter Ina Grieb, waren für diese Internationalisierung eine unschätzbare Hilfe.

Ein anderer Aspekt der Außenvertretung waren meine Funktionen und Ehrenämter in internationalen Organisationen: Europarat, Europäische Rektorenkonferenz, internationale Vereinigungen von Universitäten und Hochschulforschern etc. Ich gebe zu: Es hat mich – und die Universität – angestrengt, hier eine lebbare Logistik herzustellen. Aber die Früchte waren vielfach. Was immer unterschätzt wurde, war die Anerkennung, die die Universität dadurch erhielt, dass sich ihr Präsident in diesen transnationalen Wissenschaftsorganisationen engagierte – gerade für deutsche Hochschulen keine Selbstverständlichkeit, anders als für unsere Nachbarn. Natürlich war das kräftezehrend, und meine Reisetätigkeit verlangte der Universität oft auch Geduld ab. Aber ich denke, sie hat sich gelohnt.

Nordverbund: Der Verbund Norddeutscher Universitäten war eines meiner wichtigsten Projekte von Anfang an: Ich bin bis heute der Meinung, dass die Autonomie der Einzeluniversität ein ebenso hohes Gut ist wie die Notwendigkeit, sich organisatorisch zu Verbünden und verbindlichen Netzwerken zusammenzuschließen. Was mit Bremen, Hamburg und Kiel begann, sich später ausweitete und auch Rostock miteinschloss, war gedacht als eine Koordination unserer Interessen in der Hochschullandschaft, die durch den kleinteiligen Regionalismus der deutschen Länder bis heute leidet. Jürgen Lüthje, der inzwischen zum Präsidenten der Hamburger Universität gewählt worden war, hatte in Hamburg die Möglichkeiten, uns administrativ besonders nachhaltig zu unterstützen, und er hatte seine alte Universität nicht vergessen. Mit Bremen waren die Kontakte ohnedies eng, und ich kann heute ohne Scheu sagen, dass die Idee einer möglichen Fusion mich die letzten Jahre meiner Präsidentschaft stark umtrieb. Immerhin ist heute die Zusammenarbeit in Forschung und Lehre intensiver als vielerorts zwischen Nachbaruniversitäten.

Hanse-Wissenschaftskolleg: Aus der engen Kooperation und auch persönlichen Freundschaft mit Jürgen Timm, dem langjährigen Bremer Rektor, erwuchs zunächst eine Idee, an der sich Jochen Luther und Thomas Blanke in Oldenburg und Ulrich K. Preuss in Bremen enthusiastisch beteiligten: Wir wollten unser gemeinsames „Institute for Advanced Study“ haben. Klein Princeton? Warum nicht? – Vorbilder waren das Wissenschaftskolleg in Berlin und eben die amerikanischen Orte hochklassiger, dem Getriebe entzogener Diskussions- und Forschungsarbeit.

Die Idee war so zündend, dass sie schnell Henning Scherf, den Bremer Bürgermeister, und Helga Schuchardt, unsere Ministerin in Hannover, überzeugten. Vor allem sie war es, die die Gründung vorantrieb. Hochrangig beraten, vor allem durch Gerhard Neuweiler, kämpften wir uns gegen Vorurteile und auch Kollegenneid durch. Der Standort Delmenhorst war nicht einfach zu finden, aber ideal – halbwegs zwischen den beiden Universitätsstädten – gelegen. Mit Gerhard Roth wurde ein nachhaltiger Gründungsrektor gefunden, der seine Amtszeit auch wirklich durchhielt. Heute ist das Kolleg ein zusätzlicher Attraktor für beide Universitäten, den man nicht unterschätzen sollte.

Globalhaushalt: Zur Verwaltungsreform habe ich schon einiges gesagt. In den 90er Jahren waren alle Bildungsreformen in Deutschland ziemlich zum Erliegen gekommen, der auch materielle Reichtum unseres Universitätssystems stagnierte, die europäische Spitzenposition war objektiv gesehen dahin. Ein Grund dafür waren sicher Strukturen, die in der Vergangenheit sinnvoll gewesen sein mögen, aber jetzt überaltet und funktionshemmend waren. Dazu gehörte ganz sicher die Gängelung unserer Wirtschaftsführung durch Ministerien, in denen ökonomischer Sachverstand ja nicht zu den Dienstaufgaben gehört, und durch die Kameralistik der Rechnungsführung. Die Idee des Globalhaushalts – Lump Sum Budget – war seit etwa 1985 in einigen Zirkeln der Rektorenkonferenz zunehmend diskutiert worden, aber wer wollte sie ausprobieren? Die Landesregierungen beschwichtigten und wollten den Hochschulen „mehr Autonomie“ innerhalb der Kameralistik geben, das heißt mehr freie Hand bei Kürzungen. Darum ging es aber gar nicht. Umstellung von Ausgaben zu Kostenrechnung und verantwortungsvoller Umgang mit uns anvertrautem öffentlichen und privaten Geld, für das der Staat nun im Rahmen seiner Governance nicht unmittelbar zuständig ist, erschien uns angemessen. Es war Helga Schuchardt, die uns als Wissenschaftsministerin unter Rot-Grün wie so oft half, Vorreiter zu werden. Die Einführung hatte mit so vielen Vorurteilen in und außerhalb der Universität zu kämpfen, dass man allein darüber ein Lehrstück schreiben könnte. Jetzt war an allen Missständen der Globalhaushalt schuld. Aber unser leuchtendes Beispiel machte bald Schule, während die eigene Landesregierung längst begonnen hatte, das Modell zu demontieren. Als Mitglied des österreichischen Universitäten-Kuratoriums konnte ich dieses Modell mit Stolz vorstellen, es hat dem Universitätsgesetz meines Heimatlandes von 2002 einige Anstöße gegeben.

Deutsche Vereinigung: Ein kleines Stückchen haben wir beigetragen. Ich habe schon über die Zusammenarbeit mit Toruń berichtet und über den Vertrag mit Novosibirsk, der in die Gorbatschow-Zeit fiel. Es war ja vielen Menschen klar, dass diese Teilung keine für die Ewigkeit sein würde, und wenn, dann nicht unter den Bedingungen einer Mauer. Nur wann und wie sich das wandeln sollte, wusste niemand genau … (auch nicht die Politikwissenschaft und die Geheimdienste). Oldenburg war jedenfalls schon lange ein Ort des Austauschs mit dem Osten – und dort auch mit den oppositionellen Strömungen – gewesen. Friedrich Wilhelm Busch sollte deshalb Gründungsdekan der Pädagogik in Dresden werden, Rostock trat dem Nordverbund bei. Das Zentrum der Republik war nach Osten gerückt und Oldenburg geriet wieder in eine Randlage, das darf man nicht übersehen. Ich selbst hatte die wohl physisch anstrengendste Phase meiner Präsidentschaft von 1991 bis 1992, als ich Co-Vorsitzender der Personalstrukturkommission der Humboldt-Universität war. Das war nicht Abwickelei, das war zunächst Erhaltung und „Öffnung“ der Hauptstadtuniversität, deren Existenz ganz und gar nicht gesichert war. Ich pendelte und forderte von meiner Umgebung und mir selbst eine ganze Menge. Der Versuchung, mich selbst nach Berlin zu verpflanzen, habe ich schweren Herzens widerstanden, ich hatte ja, wie gesagt, meine erneute Kandidatur in Oldenburg angemeldet.

Hannah Arendt-Nachlass: Mein Abschied nahte. Ich hatte mich entschlossen, eine dritte Amtszeit nicht zu erwägen. Was es damit auf sich hatte, wollte ich dem Konzil frühzeitig vermitteln. Meine letzte „große“ Aktion war ein, auch für mich, emotional und wissenschaftlich bedeutsamer Kraftakt, der in der Universität lange Zeit – nach meiner Amtszeit – um die gebührende Anerkennung ringen sollte. Seit 1997 verfolgte ich auf Anraten von Antonia Grunenberg den Plan, den Nachlass von Hannah Arendt nach Oldenburg zu bringen – in der einzigen „europäischen“ Kopie von ca. 80.000 Dokumenten, die bei der Library of Congress lagen. Das nötige Geld war nicht einfach aufzutreiben: Die Körber Stiftung und die Niedersachsenstiftung hatten sich großzügig für die Finanzierung bereitgefunden, eine Stiftungsprofessur für Antonia Grunenberg konnte etabliert werden – und dann entstand das Hannah Arendt-Zentrum, aus dem neben vieler Forschung auch eine Edition hervorgehen soll. Das erzählt sich nüchtern. Aber so wie später Jaspers ein Markenzeichen werden sollte, so war Hannah Arendt ja nicht ein Oldenburger „Lokalbesitz“, sondern sie ist in gewissem Sinn treuhänderisch für eine ganze politische Zivilisation hier angesiedelt. Was ich manchmal auch zu „durchleiden“ hatte, kann man sich anhand des Beispiels vorstellen, als ich von studentischen Senatsmitgliedern angegriffen wurde, weil hier „privates“ Stiftungsgeld eingeworben und ausgegeben wurde.

Erfolgsepilog

Eine gewisse Eitelkeit würde jetzt gerne sagen: Du hast doch viel mehr gemacht. Was ist mit einer ausführlichen Würdigung von OFFIS, der Zusammenarbeit mit der FH Emden in Engineering Physics, was mit der ostdeutschen Geschichte, mit den jüdischen Studien? Nein – man kann nicht alles auflisten, was erfolgreich war, und wenn es einem auch selbst zuzurechnen ist, man ermüdet sich selbst. Ja, es gab noch mehr Erfolge, manche waren befristet, andere letztlich Misserfolge, und vieles blühte im Verborgenen auf, ganz ohne mein Zutun. Mir geht es um etwas anderes, Wichtigeres: Ich möchte viele Namen nennen und nenne sie doch nicht, weil ich dann wiederum andere wichtige Namen vergessen oder verdrängen würde, in der Erfolgsbilanz ungerecht würde und desgleichen vielleicht bei den Misserfolgen. Lassen wir es dabei: Ich war erfolgreich. Dass ich Erfolg hatte, war das Werk vieler, und dass viele Antagonisten am Ende auch mehr oder weniger überzeugt wurden, ist doch im Rückblick ganz schön.

Stolz, Glück, Resignation, Neuanfang

Ich sehe mich nicht in einer kontinuierlichen Ahnenreihe und fühle mich nur wenig als Glied in einer Genealogie von Rektoren und Präsidenten. In gewisser Weise ist meine Entwicklung nach der Präsidentschaft typisch für meine Einstellung. Fremd war ich nach Oldenburg gekommen, und nach meiner Amtszeit habe ich Berufsfeld, Forschungsgebiet, Bezugsgruppen gewechselt. Freundschaften haben über die Jahre gehalten, kollegiale Zusammenarbeit ist der Erinnerung an gute und weniger gute Konstellationen gewichen. Viele in der Universität fanden die Mischung aus Offenheit und Distanz unangebracht. Worauf ich stolz bin im Rückblick: dass ich die Universität nie über meine Pläne und Reflexionen zu ihrem Zustand, ihrer „Verfassung“ im Unklaren gelassen habe, dass ich die oft als „Daxners Gebetsstunde“ verspotteten Konzilsberichte mit großer Ausführlichkeit als meinen Beitrag zu dieser Verfassung aufgedrängte und zugleich auf meinem Leitungsanspruch – meiner „Leadership“ – beharrte. Oldenburg war und ist ein dickes Brett.

Ich schreibe heute nichts über meine politischen und gesellschaftlichen Aktivitäten, die während des Präsidentenamtes natürlich immer in mein persönliches Handeln hineinspielten: die nachgetragenen Folgen von 1968, die Grünen, die jüdische Gemeinde, die Lebenslinien nach Österreich und in die USA. Das alles musste ja auch in einem inneren Terminkalender Platz finden, jenseits der offiziellen Zeitökonomie. Deshalb habe ich mein Privatleben auch zu schützen versucht, was mir vielleicht gelungen ist. Dennoch bin ich stolz: auf eine Leistung, die dieser Universität genützt hat, die sie zu einem Markenzeichen einer öffentlichen, einer der Gesellschaft zugewandten Kultur gemacht hat. Ich bin kein Niedersachse oder Oldenburger gewesen. Immer versuchte ich, Kosmopolit und Bürger meiner Universität zu sein. Da fiel auch einiges für mich ab. Die Ehrendoktorate in Towson und Novosibirsk, das erstklassige Bundesverdienstkreuz, Verbindungen und Netzwerke in Bereichen, wo mir Anerkennung wichtig ist. Dass mein Plan für einen Bundesausbildungsfonds (BAFF) auch politisch Furore machte, dass meine Bücher – vor allem „Ist die Uni noch zu retten?“ – ein großer Erfolg wurden, das hat schon auch zum Glück beigetragen.

Glück, das gab es auch: Zum Beispiel hat es mich glücklich gemacht, während der Präsidentschaft ein DFG-Forschungsprojekt zur Geschichte einer jüdischen Schule in Berlin und später in den USA zu leiten. Das war sozusagen mein Nebenjob, aber das Glück daran war, selbst in der Wissenschaft zu sein und nicht über, neben ihr und für sie allein. Ein anderes Glück war es, viele Kolleginnen und Kollegen kennen zu lernen, hinter deren äußerer Front sich ganz andere, unerwartete Qualitäten entdecken ließen. Sie waren nicht einfach „interessant“, sondern jenseits ihrer Funktion und ihres Funktionierens waren und wurden sie „wichtig“ für mich. Glück war es, wenn ich morgens sehr früh zu Fuß in die Uni ging und im Morgenlicht dieses Gefühl hatte: „Meins“.

Glück war es ebenso, dass mich ein kranker Student nicht, wie er angekündigt und es ihm seine Stimmen eingegeben hatten, wegen der verluderten Sitten an der Universität tötete. Glück war es, dass ich wirklich große Probleme im menschlichen Bereich – es gibt eine Menge Unglück in Universitäten – mit vielen Kolleginnen und Kollegen in Solidarität lösen helfen konnte. Glück war es, mit Menschen zusammenzuarbeiten, die nicht im Rampenlicht dieser Universität standen, aber in der täglichen Arbeit erst die Universität ermöglichten. Ein solches Präsidialamt und eine Verwaltung, wie ich sie leiten durfte, haben nicht viele Kollegen gehabt.

Die Schattenseite: Ein Präsident, der nicht größenwahnsinnig ist, muss sich vor Resignation hüten. Oh, diese Senatssitzungen … diese Beschimpfungen, dieser Unverstand (im Ministerium, wo man nicht verstehen wollte, was die Universität braucht, im Fach, wo der kleine Egoismus jede Solidarität erstickte). Die Skandalgeschichten der Universität haben auch einen Preis in meinem Selbstbewusstsein gefordert. Wer lässt sich schon gerne abhören, mal als Deutschnationalen, mal als Linksextremisten beschimpfen, antisemitisch anfeinden etc., ohne dass Spuren in ihm verblieben? Oft war ich nahe an der Resignation, aber das konnte dann wieder durch Erfolge und glückliche Begegnungen überbrückt werden.

Zur Abwehr der Resignation gehörte auch eine Portion Ironie: Als das Thema „Wagenburg“ kommunal hochkochte, wurde in der Wissenschaft das Leben in einer solchen als neue Lebensform thematisiert. Mein Kommentar war, dass wenigstens die Duschen in Wechloy dazu einen Beitrag leisteten. Als der Kulturverlust unter meiner Leitung von konservativen Kollegen im Senat beklagt wurde, begannen Thomas Blanke und ich Latein zu sprechen (einem Fehler, der uns unterlief, gaben wir die Bezeichnung Nordlatein). Und wenn es gar nicht auszuhalten war, zeichnete ich Hunderte von Sitzungskarikaturen als spontane psychotherapeutische Entlastung. Ich hab’s überlebt. Aber das war alles nicht lustig, so wenig wie die Selbstmorde, Kriminalfälle und Unglücke in der Universität, die man sich immer auch ein wenig zurechnen muss. Ein Unglück haben die meisten nicht verstanden, ich gehe aus meiner Deckung: Zu meinem 50. Geburtstag wollte ich der Universität ein Geschenk machen. Dazu hatte ich einen Kollegen, Heinz Bauer aus Gießen, und einen vorzüglichen Sänger aus Düsseldorf eingeladen, die Winterreise von Schubert aufzuführen. Keine Reden, keine der üblichen Feiern. Nur Schubert. Es war wunderbar. Danach aber großes Befremden, warum ich denn ein so trauriges, resigniertes Werk ausgesucht hätte …

Neuanfang. Durchatmen. 1998 sollte es zu Ende sein. Einen Fehler habe ich begangen, der mich bis heute etwas verfolgt: Ich hätte die Universität sofort und dauerhaft verlassen sollen, anstatt mich bisweilen wie Hamlets Vatergeist in den Gebäuden zu zeigen. Aber das ist eine andere Geschichte. Ich habe begonnen, mich – nach der Umwidmung meiner Stelle in Soziologie und einigen Forschungsaufgaben – ab 1999 der internationalen Konflikttransformation zuzuwenden, zunächst im Hochschulbereich. Man darf nicht vergessen, dass ich eine geradlinige wissenschaftliche Spitzenkarriere dem Präsidentenamt hintangestellt hatte, das ließ sich auch nicht aufholen. Aber ich musste wieder Anschluss finden.

Die wichtigeren Ehrenämter, auch die aufwändigeren, sollte ich jetzt annehmen. Und nach wenigen Wochen für die Vereinten Nationen im Kosovo begann Oldenburg am biografischen Horizont zu versinken, taucht aber bis heute immer wieder auf, ist oft sehr präsent, aber ich sage mir nicht jeden Morgen: „Da war ich einmal Präsident“, sondern: „Das ist eine Universität geworden, die sich trotz der vielen Irrationalismen und Tunnelblicke vieler ihrer Mitglieder sehr gut weiterentwickelt hat.“ Und deshalb blicke ich gern auf die zwölfjährige Amtszeit zurück, die mehr Lust als Last war.

Nachbemerkung anlässlich der Online-Veröffentlichung

Heute, 2023, würde ich an diesem Text nicht viel verändern, vielleicht die mittlerweile Verstorbenen herausstellen und mich den Problemen der Hochschulgesetzgebung und der Leitungsfunktionen genauer widmen. Was aber wichtiger ist, sind die Veränderungen der Hochschullandschaft und der Wirklichkeit eines nicht unumstrittenen Wissenschaftssystems. Der Rückblick ist also auch der Blick in eine wichtige Periode meines beruflichen und persönlichen Lebens, der nicht schon die Bewertungen meiner Nachfolge enthält. Bis auf einen Satz, heute wichtiger denn je: ich bin dankbar für Einblicke in die Wirklichkeit, die mir Amt und Wissenschaft über so lange Zeit angeboten haben.

[1] Gerhard Harms und Peter Waskönig (Hrsg.), „Mehr Lust als Last?“ Der Gründungsrektor sowie die Präsidentinnen und Präsidenten der Carl von Ossietzky Universität über ihre Herausforderungen und Erfolge 1974-2015, Oldenburg 2017, BIS-Verlag.

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